Endlich Urlaub! Aber wohin? Klar, irgendwohin wo es Berge gibt. Gerüchteweise soll das in der Schweiz der Fall sein ;-) Auf längere Anfahrten habe ich keine Lust. Es gibt eine schöne Direktverbindung mit der Bahn von zu Hause nach Konstanz. 2007 war ich schon ausgiebig im östlichen Graubünden unterwegs, also ist jetzt was anderes dran. Einen Plan oder eine ausgearbeitete Route habe ich nicht - einfach Zelt, Iso-Matte, Regen- und Fahrradklamotten aufladen und los Richtung Chur. Der Wetterbericht ist nicht sonderlich positiv, also packe ich sicherheitshalber viele warme Sachen mit ein und hoffe darauf, dass es oben auf den Pässen nicht schneit.
Am ersten Tag starte ich in Konstanz
am Bodensee. Es regnet immer wieder, sodass ich mich in Scheunen
oder an Bahnhöfen immer wieder für eine Stunde
unterstelle.
An der Altrhein-Mündung verlasse
ich den Bodensee und fahre Rheinaufwärts.
Auf der Österreicher- oder
Liechtensteiner Seite ist der Weg Rhein-aufwärts
schöner als auf der Schweizer Seite. In der Schweiz
führt die Strecke ewig geradeaus, mit viel Lärm und
Abgasen von der unmittelbar danebenliegenden Autobahn.
Mein erstes Nachtlager ist auf einer
schönen Lichtung direkt am Weg in Liechtenstein an einem
Rhein-Nebenarm. Der Platz ist hübsch; zwei Engländer
lassen sich leicht überreden, hier mit mir zu
übernachten. Die Engländer müssen eisern sparen
und ernähren sich vorwiegend von Nudeln mit einer Sauce aus
Senf und Ketchup (*igitt*, sowas verträgt nur ein englischer
Magen). Das Wasser ist ziemlich kalt und hat eine reißende
Strömung, aber man wird sauber. Mücken gibts auch fast
keine.
Der nächste Morgen startet
sonnig.
Ich fahre mal kurz zum Einkaufen auf
die Schweizer Seite hinüber. Bei Buchs stehen viele alte
Bunkeranlagen am Rhein. Warum sind die Schweizer dieses Jahr so
unentspannt? Eine Fußgängerin ruft mir hinterher, dass
ich verkehrtherum durch eine Einbahnstraße fahre, dabei
wusste ich das schon ;-)
Bei Maienfeld auf der rechten
Rheinseite ist es so warm, dass es etliche schmucke
Weingüter gibt. Der Weg rheinaufwärts über Chur
und Tamins bis Bonaduz ist eher langweilig und hässlich,
viel Industrie, aber wenigstens flach - Kilometerfressen
angesagt.
Ab Bonaduz beginnt mein Highlight des
Tages: die Ruinaulta, der "Grand Canyon der Schweiz". Die Strasse
von Bonaduz über Versam nach Ilanz verläuft hoch
über der Schlucht. Auf der Straße begegne ich einem
Münchner Radreise-Pärchen. Die beiden sind gerade erst
mit der Bahn angekommen und losgefahren. 15km/h bei leichtem
Anstieg, angenehmes Plaudertempo. Leider werden die beiden immer
langsamer und langsamer, sodass ich mich schließlich
verabschiede ;-)
Immer wieder bieten sich
phantastische Ausblicke auf die in der Sonne gleißenden
Felsabbrüche. Weils so schön ist fahre ich bis halb zum
Bahnhof Versam zum Talboden hinunter und wieder hinauf.
Mein Lager schlage ich auf einem
Grillplatz in der Nähe von Ilanz direkt am Rheinufer auf. Es
ist zwar noch relativ früh am Tage, aber meine Haut wird
langsam rot. Der Grillplatz ist leider ganz schön von
beißenden und stechenden Insekten heimgesucht. Plan
für morgen: ein Anti-Mücken und -Zeckenmittel und
stärkere Sonnencreme kaufen. Abends kommt ein unglaublich
freundlicher älterer Albaner vorbei, der in der Schweiz
lebt, spendiert mir ein Bier, und wir unterhalten uns ein
bisschen. Wenn alle Albaner so sind, muss ich mal eine Reise nach
Albanien machen ;-)
Am nächsten Tag will ich's
wissen: kommt man mit dem Rad über die auf meiner Karte
gestrichelt eingezeichneten Wanderweg-Pässe? Also fahre ich
das "Tal des Lichts" (Val Lumnezia) auf der Straße nach
Vrin hinauf.
Der Weg ist ganz schön steil.
(Blick hinab)
Die Dörfchen liegen hoch
über dem Tal. Es geht ständig bergauf. Am Talende
stelle ich fest, dass die von mir gesuchten Wanderwege mit dem
Vermerk "Nur für trittsichere Wanderer, festes Schuhwerk
mitführen" versehen sind. Weil mir das zu sehr nach Trage-
und Schiebepassagen riecht, fahre ich lieber auf dem MTB-Weg die
andere Talseite wieder hinunter ;-)
Der Weg ist ausnehmend schön. Bin
aber froh, dass es hier nur abwärts geht. Hinauf hätte
ich wohl schieben müssen. 15%-Steigungen auf losem Schotter
packe ich mit Gepäck nicht. Hier geht mir dann irgenwann
mein rechter Schalthebel kaputt: Rückholfeder gebrochen. Von
nun an wird das Schalten etwas fummeliger, weil man den Hebel bei
jeder Betätigung von Hand zurückstellen muss.
Ich fahre dann noch ein paar km bis
Disentis den Vorderrhein hinauf, wo ich mein Nachtlager an einem
öffentlichen Feuerplatz aufstelle. Mit mir übernachten
hier ein in die Schweiz eingewanderter Tscheche mit einem
unglaublich riesigen Hund, den er aus Alaska mitgebracht hat, und
eine Schweizerin mit einer Hündin, die sich bei jeder
Gelegenheit auf den Rücken legt und die Beine breitmacht.
Die Rückschlüsse, die der Tscheche aus dem Verhalten
vom Hund auf das Frauchen gezogen hat, sind nicht jugendfrei
;-)
Disentis ist bekannt für das
markante Kloster mit angebauter Kathedrale.
Ich fahre den Lukmanier-Pass
hinauf.
Der Pass ist auf der Nordseite eher
ein Anfängerpass, sehr langgezogen mit geringer
Steigung.
Auf dem Weg nach oben überholen
mich recht flott zwei lässig gekleidete, nicht im mindesten
angestrengt wirkende ältere Herrschaften auf
Elektrofahrrädern :p Habe mich mit ein paar gehässigen
Kommentaren über Schummelfahrräder und unfaire Mittel
revanchiert ;-)
Die Passabfahrt auf der Südseite
ist hübsch: Es gibt eine alte Pass-Straße praktisch
ohne Autoverkehr, dafür mit einer tollen Aussicht.
Ab Acquarossa über Bellinzona bis
Locoarno ist die Straße dann wieder eher langweilig. Zum
Glück gibts Kleinstraßen durch die Dörfer, sodass
man weder auf der Autobahn noch auf der Schnellstraße
fahren muss.
Die Dörfer machen schon einen
sehr "italienischen" Eindruck.
Am Lago Maggiore ist es
kochendheiß (36°C) und schwül. Ich springe gleich
mal in den See, aber übernachten möchte ich hier
nicht.
Stattdessen fahre ich ins
Centovalli-Tal hinein, von dem mir die Schweizerin bei der
letzten Übernachtung vorgeschwärmt hat. Das Tal ist
wunderschön, eines meiner absoluten Tour-Highlights!
Beeindruckend ist, wie die
Straße und die Eisenbahnlinie an die Talhänge geklebt
sind.
Die Gegend erinnert mich an die Cinque
Terre, nur dass auf der anderen Seite kein Meer, sondern die
gegenüberliegende Talwand ist. Mitten im Tal ist die Grenze
nach Italien.^
Ich übernachte zusammen mit einem
italienischen Pärchen auf einem einsamen Rastplatz. Mit ein
paar Brocken Deutsch, Italienisch, Englisch und vielen Gesten
kann man sich auch unterhalten ;-) Nachts gibts ein
kräftiges Gewitter.
In einem Dörfchen mit dem
angenehm kurzen Namen "Re" steht diese Wallfahrtskapelle. Hier
ist schon am frühen Morgen einiger Touristenrummel.
Von Malesco bis Domodossola ist die
Straße gut befahren und nicht sonderlich schön -
wieder Kilometerfressen.
Mein Ziel ab Domodossola ist der
Simplon-Pass.
Besonders im unteren Teil ist die
Passauffahrt wunderschön, mit tief eingeschnittenen
Talwänden.
Auf der alten Paßstraße
kann man fast ohne Autoverkehr fahren. Der Verkehr fließt
über eine riesige Straßenkonstruktion
obendrüber.
Immer wieder gibt es schöne
Ausblicke.
Irgendwann laufen die Straßen
jedoch zu einer gemeinsamen Passauffahrt zusammen, sodass man
einigen Autoverkehr hat. Viele ewiglange Lawinengalerien und
Tunnel verstellen die Aussicht, und man braucht darin bei
Autoverkehr gute Nerven.
Endlich oben! Der Simplon ist von der
italienischen Seite ein sehr schwerer Pass, weil er von 280m bis
auf über 2000m steigt, zumeist mit 8%-Rampen.
Merkwürdigerweise bin ich der
einzige Radfahrer auf dem ganzen Pass. Weder hinauf noch hinab
ist mir auch nur ein anderer Radfahrer begegnet.
Die Abfahrt ist flott und macht am
Anfang Spaß.
Schwierig wirds dann, weil der Wind
stark zunimmt. Über diese Brücke bin ich förmlich
geschlichen, trotzdem hat mich der Seitenwind immer mal wieder
einen halben Meter nach links oder rechts aus der Spur
gedrückt. War aber kein Problem, da praktisch ohne
Autoverkehr.
Brig am Fuß des Passes ist
hübsch. Da ich aber keine Lust auf Stadtbummel habe, fahre
ich zügig durch.
Ich suche nun ziemlich dringend ein
Nachtquartier. Leider ist der Radweg durch das Rhonetal
ausnehmend steil (640hm mit bis zu 19% Steigung) und teilweise
gar nicht zu finden. Also fahre ich dann auf der vielbefahrenen
Landstraße bis Fiesch und übernachte dort auf einem
mit 32 SFR unverschämt teuren Campingplatz.
Am nächsten Morgen suche ich
weiter nach dem Radweg durchs Rhonetal.
Als ich ihn endlich finde, stellt er
sich als gut befahrbarer Feldweg ohne viele Steigungen
heraus.
Ich folge dem Weg bis Obernwald.
Nun gehts über den Grimselpass.
Ab hier kann man erahnen, wo man den Rest des
Frühnachmittags verbringen wird ;-)
Die Zahnradbahn hats einfacher.
Vom Grimselpass aus hat man einen
guten Blick auf den gegenüberliegenden Furkapass. Leider
sind beide Pässe sehr dicht befahren, insbesondere mit
riskant fahrenden Motorradfahrern.
Oben angekommen. Der Grimsel ist
hübsch, aber bei weitem nicht so anstrengend wie der
Simplon.
Blick auf die andere Seite
hinunter.
Die Abfahrt kann man flott nehmen. Es
gibt am unteren Ende nicht allzuviele schlecht einsehbare Kurven.
Es ist noch früh am Nachmittag, als ich unten bin. Also
fahre ich gleich noch den Brüning-Pass hinauf.
Vom Pass aus geht es zum Lungerer See
hinunter. Der sieht einlandend aus - ich will hier nach einer
Übernachtungsmöglichkeit suchen.
Am Seeufer unterhalte ich mich ein
bisschen mit einem Jogger, der mich auf ein wirklich
hübsches "Schlaf im Stroh"-Quartier aufmerksam macht. Ich
übernachte zusammen mit zwei Jakobspilgern und ein paar
Wanderern in einem ehem. Kuhstall auf einem Strohlager. Lustig
:-)
Am nächsten Morgen gehts zum
Glaubenbielenpass hinauf. Das Wetter ist kochendheiß, mir
fließt der Schweiß nur so herunter und tropft auf den
Lenker. Der Pass kommt mir wegen der Hitze sehr anstrengend vor -
immerhin >1000 Höhenmeter bei über 30°C.
Der Pass auf 1600m selber ist
hübsch, wenn auch nicht so spektakulär wie die
großen Pässe.
Ich bemerke schon seit ein paar Tagen,
dass es mich ganz schön zum heimischen Bett hinzieht. Also
beschließe ich, Richtung Basel zu fahren. Vom
Glaubenbielenpass in Richtung Basel hat man dadurch
tatsächlich eine satte 80km lange Abfahrt, wo man auch mit
Gepäck fast durchgängig ein Tempo um die 30km/h
durchhält!
Ein Highlight unterwegs ist diese
Schlucht hinter Flühli.
Rasch wird die Gegend flacher.
Auf dem Weg liegen ein paar
hübsche Städtchen. Das hier ist Zofingen.
Und das hier Aarburg. Bei Olten, ein
paar km weiter, stelle ich fest, dass mir die Zeit ausgeht, und
steige in den Zug nach Hause.
Dies ist der Reiseverlauf. Start- und
Endpunkte sind rot markiert, die Übernachtungen grün.
Insgesamt war ich 7 Tage unterwegs, ca. 700km und 10.000
Höhenmeter. Irgendwie bin ich nach den ersten beiden Tagen
jeden Tag länger gefahren, kein Wunder dass mir nach 7 Tagen
dann nach einer Pause war ;-)
Außerdem kann ich nun erst mal den kaputten Schalthebel
reparieren.