Ich wollte schon längere Zeit mal nach Norwegen. Im letzten Jahr hat es nicht geklappt - keine Zeit, und der Wetterbericht versprach ständig Regen. Dieses Jahr bin ich wegen einer Konferenz sowieso zur Mittsommernachtszeit in Trondheim. Also frage ich meinen Chef, ob er etwas dagegen hat, wenn ich nur eine Richtung fliege und den Rückweg zum Teil aus eigener Kraft bestreite - keine Einwände :-)
Ich habe eine Weile überlegt, wie ich am besten nach Deutschland zurückkomme. Von Oslo aus gibt es eine direkte Fährverbindung nach Kiel. Die ist aber sehr teuer, um die 400 EUR. Dagegen kostet der Katzensprung von Trelleborg in Schweden nach Sassnitz in Deutschland nur 20 EUR. Da ich Schweden noch nicht kenne, will ich lieber 5 Tage dafür aufwenden, Schweden zu durchqueren. Von Norwegen verspreche ich mir sehr viel, an Schweden habe ich überhaupt keine Erwartungen.
Wie inzwischen üblich fehlt mir die Zeit und die Lust für eine ordentliche Planung. Von rad-forum.de und gps-tour.info 'borge' ich mir ein paar Streckenvorschläge für mein GPS. Zusätzlich besorge ich mir die GPS-Koordinaten von Alesund, Rallarvegen, Geiranger-Fjord, Adler-Straße, Trollstigen und der Straße über das Sognefjell, weil diese im Netz immer wieder als die wichtigsten Sehenswürdigkeiten genannt werden. Außerdem finde ich im Netz irgendwo den GPS-Track vom Nordseeküstenradweg in Norwegen und Schweden. Wenn man das zu einer Route verbindet, fährt man von Trondheim ungefähr 400km nach Alesund, dann über Geiranger, Adlerstraße und Trollstigen 500km nach Lom, über den Rallarvegen und die Numesdal-Radroute etwa 500km bis Drammen, und nochmal 100km bis Oslo. Von da ab sind es entlang der Küste nur noch ca. 800km bis Trelleborg. Macht insgesamt 2300km - bei 18 Tagen maximal verfügbarem Urlaub sind da noch ein paar hundert km Reserven drin, und Abkürzungen sind jederzeit möglich.
Problematisch wird erst mal das Hinkommen. Zum einen muss ich ein Notebook und angemessene Kleidung zur Konferenz mitnehmen. Zum anderen gibt es keinen Direktflug nach Trondheim, und ich vertraue den Airlines nicht soweit, mein Rad vernünftig umzuladen. Meine Lösung besteht darin, das Rad bestmöglich zu verpacken und mit dem Nachtzug von Karlsruhe nach Amsterdam zu fahren, von wo es einen Direktflug von KLM nach Trondheim gibt.
Da ich mit dem schlimmsten rechne, müssen Kleidung und
Schlafsack für Temperaturen unter 0 Grad mit. Das bedeutet
eine ganze Menge Gepäck, die in einem großen
wasserdichten Packsack und zwei ebenfalls wasserdichten
Ortlieb-Frontrollern verschwinden. Dazu ein Rucksack für
Kamera, Wechselobjektive, Notebook und Dinge, die man gleich zur
Hand haben möchte. Es bleibt sogar noch Platz für
Luxus: eine 0.5cm starke Schaum-Isomatte zusätzlich zur
Thermarest-Matte, ein ordentliches Marttiini-Messer, ein zweites
Paar Schuhe, Kocher und Kochtopf, Rasierzeug. Mein
Radhändler gibt mir noch Ersatz-Bremsklötze, Brems- und
Schaltseile, Speichen sowie ein paar andere Kleinteile mit. Als
Optimist kaufe ich in allerletzter Minute noch eine Badehose.
Da ich mein GPS immer dabei habe, kann ich am Ende der Tour
eine lückenlose Aufzeichnung auslesen, wann ich wo war. In
Google Earth sieht das wie folgt aus:
Hier kann man die aufgezeichnete Strecke in Google Maps öffnen.
Der Nachtzug geht um 0 Uhr. Das Radabteil ist zwar ausgebucht, aber mein Rad ist verpackt und wird als Sperrgepäck irgendwo dazwischengeklemmt. Die Reise bis zum Flughafen Amsterdam-Schiphol ist mit dem vielen Gepäck zwar sehr anstrengend, aber soweit unproblematisch. Nochmal möchte ich das trotzdem nicht unbedingt machen. Insbesondere das Umsteigen auf Bahnhöfen ohne Aufzug ist eine Plackerei.
Im Flughafen zeigen dann die Sicherheitskräfte Mut zur Dummeheit. Ich schaffe mein Gepäck über eine Rolltreppe auf die obere Ebene. Da es zuviel auf einmal ist, muss ich zweimal gehen. Grade als ich mein Rad holen will, heißt es "Is this your luggage?! -- Sie können Ihr Gepäck hier nicht unbeaufsichtigt stehen lassen!" Der Hinweis, dass ich in Sichtweite bleibe, und dass mein Paket mit dem Rad nur ein paar Meter entfernt gut sichtbar am unteren Ende der Rolltreppe steht, hilft nichts. Ich muss mein Gepäck aufmachen (keine Bombe zu finden), alles wieder auf den Gepäcktrolley aufladen, und über einen Lift alles zurück nach unten schaffen, um dann mein Rad mit dem Gepäck zusammen wieder nach oben zu fahren. Dass ich dann dabei wirklich mein Rad aus dem Blick verliere, scheint die Herren nicht zu stören -- sie ließen nicht mit sich reden.
Ich zahle 40 EUR am Sperrgepäckschalter im Flughafen und gebe mein Rad ab. Am Flughafen erfahre ich auch das erste Mal, wieviel Zeug ich dabei habe, weil alles auf eine Waage gestellt wird: 20kg sind in den Fahrradtaschen. Dazu kommt noch ein Rucksack, und mit vollbestückten Flaschenhaltern kommen nochmal 3kg für Getränke dazu. Der Flug und die Ankunft in Trondheim sind dann unproblematisch. Der Fahrradkarton ist ganz schön lädiert, aber das sehr gut verpackte Rad ist unbeschädigt. Auf dem Platz vor dem Terminal schraube ich mein Rad dann zusammen. Hier der Schock: ich habe den 4mm-Inbusschlüssel vergessen, den ich brauche um den Gepäckträger festzuschrauben. Notfalls kann ich mir mit einem anderen Schlüssel behelfen, aber in Trondheim werde ich nach einem Werkzeug suchen müssen.
Ich fahre mit dem Rad die 34km vom Flughafen zum Hotel. Es ist warm und sonnig. Irgendwer hat behauptet, es wäre kalt in Norwegen. Meine Kleidung ist entsprechend. Nach 5 Minuten Fahrt suche ich einen Busch und wechsle meine langen Sachen gegen mein kurzes Fahrraddreß.
Trondheim ist eine kleine, ruhige Stadt. Die Altstadt liegt in
einer Schleife des Flusses Nidelv. Der Fluss ist von alten
Speicherbauten gesäumt, die auf Pfählen errichtet
wurden. Eine
Attraktion ist der Fahrradlift "Trampe", der einen
mäßig steilen Hügel (~15-20% Steigung)
hinaufführt. Man stellt seinen Fuß auf ein kleines
Pedal, drückt einen Knopf, und das Pedal fährt auf
einer Schiene den Hügel hinauf.
Zur Zeit der Sommersonnenwende verschwindet die Sonne zwar von 23 Uhr bis 2 Uhr hinter dem Horizont, aber nur so knapp dass es nicht dunkel wird - es bleibt einfach hell. Das Einschlafen im Zelt wird schwierig werden.
Freitag ist der letzte Tag der Konferenz. Bereits am Donnerstag habe ich mein Notebook, die Tagungsbände und die allermeisten meiner guten Sachen mit einem Paket nach Hause geschickt. Da mir niemand so recht glauben wollte, dass ich tatsächlich mit dem Rad nach Deutschland fahre und sowieso schon am Vormittag aus dem Hotel auschecken muss, mache ich eine Show aus meiner Abreise: gegen 16 Uhr, unmittelbar nach den Schlussworten des Organizers, ziehe ich mich auf dem Klo um, packe meine Siebensachen und radle vor versammelter Mannschaft davon :-)
Ich nehme den Riksveg 707 unterhalb des Naturparks westlich
von Trondheim herum, und folge dann ab Melhus dem RV 708. Ich bin
ein bisschen enttäuscht: abgesehen vom Fjord von Trondheim
ähnelt die Landschaft recht stark dem Schwarzwald, auch wenn
alles etwas weitläufiger ist. Das ist wohl das Problem, wenn
man mit hohen Erwartungen startet. Nichtsdestotrotz bin ich
glücklich, nach einer Woche stillsitzen endlich wieder auf
der Piste zu sein, und das Wetter ist gut.
Da ich erst am späten Nachmittag aufbrechen kann, komme
ich heute nicht allzu weit. Um sauber zu werden, springe ich
gegen 19:00 in einen Bergsee (den Anoya), und freue mich, an eine
Badehose gedacht zu haben. Das Wasser ist klar, aber recht kalt.
Dank Sonne und Wind wird man aber rasch trocken.
10km weiter finde ich einen versteckten Platz für mein Zelt in einer Waldlichtung nahe der Straße.
76km, 4:16h, 800 Höhenmeter, Wetter sonnig bis wolkig
Nachdem ich gefrühstückt und mein Zelt
zusammengerollt habe, wird der Himmel schwarz und es donnert:
Dauerregen bis in die Nacht hinein. Ich folge zunächst der
65 bis Surnadalsora. Dort treffe ich einen radreisenden Polen,
der sich im Wartehäuschen einer Bushaltestelle untergestellt
hat. Sein Rad hat ein Problem: die Vorderradnabe gibt krachende
Geräusche von sich. Ich habe zwar eine Schraube dabei, um
sein losgerissenes Schutzblech wieder zu befestigen, aber
natürlich keine Ersatznabe. Wir schrauben ein bisschen, aber
kommen nicht weiter. Ich verabschiede mich und fahre auf der 670
nach Melhus weiter.
Ich freue mich über die gute Ausstattung der Landstraßen in Norwegen mit sanitären Einrichtungen. Im strömenden Regen in den Wald schei** zu müssen wäre nicht das wahre. Die Rastplätze sind selten mehr als 15km auseinander, und stets blitzsauber.
Hinter Melhus nehme ich die Fähre über den Fjord, und folge der 70 bis Sunndalsora. Dahinter verschwindet die Straße in einem Tunnel. Da es langsam spät wird, nehme ich nicht den Tunnel, sondern die alte Landstraße, und stelle mein Zelt neben der Straße auf. Alle Leute benutzen den Tunnel - die ganze Nacht kommt niemand die Straße entlang. Dummerweise erwischen mich beim Waschen im Bach das erste mal die Gnitzen. Gnitzen sind winzig kleine Mücken, die in riesigen Schwärmen auftauchen und beim Landen auf der Haut sofort zustechen. Später zähle ich etwa 30 Stiche allein am rechten Unterschenkel, die noch eine Woche lang jucken werden. Heute habe ich etwas gelernt: in verdächtigem Gelände niemals am Bach zelten, und nie überflüssig hin- und herlaufen, sondern möglichst rasch alles erforderliche erledigen und dann ins mückendichte Zelt. Damit hat sich auch die Kocher-Frage erledigt: Im Zelt kann ich nicht kochen. Außerdem habe ich eigentlich gar keine Lust, 1kg für eine Brennstoff-Flasche zusätzlich durch die Gegend zu fahren. Also trage ich für den Rest der Reise Kocher und Kochtopf ohne Treibstoff nutzlos durch die Gegend, und esse entweder unterwegs, oder kalt. Norwegische Wurst, Käse, Fische und Brote sind allemal lecker genug.
142km, 8:00h, 1500 Höhenmeter, den ganzen Tag Dauerregen
Der Tag startet wolkig, aber schön. Ich folge der 62 bis
Eidsvag, und nehme ab da eine winzig kleine Landstraße
entlang des Langfjorden bis Solsnes.
Ich erkenne bald, warum der Langfjorden Langfjorden
heißt: er ist recht langweilig. 35km gradeaus, links
Wasser, rechts Berg. Daher freue ich mich, als die Fähre von
Solsnes in Sicht kommt.
Nun geht es ein ganzes Stück endlang der 64. Um nach Andalsnes zu kommen, muss man einmal ganz um den 30km langen Isfjorden herumfahren. In Andalsnes habe ich erst 100km und 900 Höhenmeter auf dem Tacho: bin noch nicht müde. Darum hole ich mir beim nächsten MIX das größte Hamburger & Pommes-Menü, das sie haben, und fahre 16 Uhr Richtung Trollstigen ab.
Die Trollstigen ist mein erstes großes
Norwegen-Highlight. Sie ist eine der bekanntesten
Touristenstrecken in Norwegen. Es handelt sich um einen 880m
hohen Pass, bei dem sich die Straße über zahlreiche
Serpentinen zwischen und über einem großen und einigen
kleineren Wasserfällen windet.
Insgesamt ist die Straße recht spektakulär. Auf der
Brücke über dem Wasserfall wird man nass. Zum
Glück sind wegen der späten Stunde nur noch wenige
Motorradfahrer und Wohnmobile unterwegs.
Oben ist es dann recht frisch. Es ist zwar Sommer, aber
trotzdem liegen noch zahlreiche riesige Schneewehen entlang der
Straßen, die nur ganz allmählich abtauen.
Oben angekommen spendiert mir ein freundlicher
holländischer Wohnmobilfahrer erst mal einen Kaffee, und wir
unterhalten uns ein bisschen. Ich bekomme einen guten Tipp
für einen Zeltplatz für die Nacht. Ich möchte aber
wenigstens wieder auf 200m runter, hier ist es einfach zu kalt.
Ich finde dann einen sehr schönen Zeltplatz auf einer Halbinsel, die in den Schmelzwasserfluss vom Pass hineinragt. Der Fluß ist zwar extrem reißend, aber in einer ausgespülten Nische kann man trotzdem ganz gut baden und seine Klamotten durchspülen.
153km, 8:15h, 2000 Höhenmeter, Wetter bewölkt und kühl
Heute den ganzen Tag heftiger Dauerregen. Daher komme ich erst
gegen 11 vom Zeltplatz los, und starte mit einem Stimmungstief.
Heute steht die Adlerstraße hoch über dem
Geirangerfjord auf dem Programm. Sie ist Teil der 63 und
verbindet die Orte Geiranger und Eidsdalen. Von den zahlreichen
Serpentinen im südlichen Anstieg aus hat man zahlreiche
schöne Ausblicke auf den Geirangerfjord -- jedenfalls wenn
es nicht schüttet wie aus Eimern, wie heute.
Geiranger selbst sieht eher abschreckend aus: Hotels und Souvenirbuden überall. Dazu der Regen. Eigentlich will ich weiterfahren, aber unterwegs spricht mich ein schweizer Reiseradler an: "Weißt du, dass die Straße da jetzt 1000m raufgeht, und willst du da wirklich im Regen hoch?" -- ich konnte beides nur verneinen, und bin ihm auf den Campingplatz gefolgt.
Zwar bietet ein Campingplatz Gelegenheit für eine warme Dusche und zum Waschen der Kleidung. Wirklich gut schlafen kann man dort aber nicht. Es ist zu laut, durch die Zeltplane hört man jeden Gast, und mit etwas Pech wollen die anderen Gäste bis in die Morgenstunden Party machen. Der Platz in Geiranger war ganz in Ordnung - bis auf das permanente Gekreisch der Möwen, und die Tatsache dass noch vor 6 Uhr Morgends die LKW-Fahrer nebenan ihre Motoren warmlaufen ließen.
36km, 2:30h, 650 Höhenmeter, den ganzen Tag Dauerregen
Der Tag startet mit leichtem Niesel, aber soweit erst mal ganz
gut. Nachdem der Schweizer und ich zusammengepackt haben und ein
paar hundert Höhenmeter raufgefahren sind, sehen wir zum
ersten Mal Geiranger und den Fjord ohne Regen. Das
größte Schiff im Fjord ist ein deutsches
Kreuzfahrtschiff. Rechts auf dem Bild erkennt man die
Serpentinen, die vom Fjord zur Adlerstraße
hinaufführen.
Wir folgen der 63 den Pass hinauf. Oben verwandelt sich der
Nieselregen in Schneetreiben. Unter uns sehen wir ein paar
Gäste des Kreuzfahrtschiffs den Berg unter vollem
Krafteinsatz hinaufkeuchen - so wie die fahren, sind sie
hinterher vermutlich ein Fall für den Bordmasseur, aber
schneller als wir mit unserem vielen Gepäck sind sie auch
nicht. Wir sprechen den einzigen toughen Typen an -- er stellt
sich als der Tourguide heraus, ein Brasilianer.
Das Wetter ist zu diesig, als dass es sich lohnen würde,
noch von 1000 auf 1500m Höhe zum Aussichtsberg
"Flydalsjuvet" raufzufahren. Also gönnen wir uns auf
Passhöhe einen Kaffee, und folgen der 63. Die 63
verläuft um einen See herum, den man unter dem vielen Eis
und Schnee überhaupt nicht wahrnimmt, sondern erst durch
Vergleich mit der Karte auf dem GPS erkennt.
Die Straße ist uns zu langweilig, aber da gibts noch
eine Schotterpiste, die ungefähr parallel zur 63
verläuft. Hier begleiten uns ein paar Stunden heftige
Regenschauer.
In Grotli müssen wir uns trennen - ich möchte nach
Lom weiter, er hat andere Pläne. Ab Grotli fahre ich die 15.
Weil die etwas stärker befahren ist als mir lieb ist,
wechsle ich ein paar km vor Nordberg auf parallel verlaufende
kleine Seitenstraßen aus, die die Dörfer im Tal mit
der Landstraße verbinden. Die Landschaft ist sehenswert:
der Fluß kämpft sich immer wieder durch robuste
Felsformationen, und bildet Strudeltöpfe und Stromschnellen.
Hier hört dann auch der Regen auf.
In Lom sehe ich dann meine erste Stabkirche. Stabkirchen sind
kunstvoll mit Schnitzereien und Malereien verzierte Holzkirchen,
die typisch für Skandinavien sind.
Von Lom aus geht es in Richtung auf mein drittes geplantes
Reise-Highlight: die Straße über das Sognefjell. Die
erreiche ich heute aber nicht mehr. Bei Slaligrende biege ich vom
RV55 in ein Seitental ein, und schlage mein Zelt in 950m
Höhe oberhalb der Baumgrenze neben einem Bergsee auf. Es ist
zu kalt für Mücken, und ich finde eine schöne
windgeschützte Nische - perfekt. Kurz versuche ich, im See
zu baden, aber Hände und Füße werden sehr schnell
taub, wenn man ins Wasser steigt. Daher begnüge ich mich mit
einem kurzen untertauchen.
140km, 8:30h, 1500 Höhenmeter, Regen von Mittag bis ca. 18:00
Der Tag startet sonnig. Ich muss nur noch von 950m auf 1440m
Höhe rauf, um aufs Sognefjell zu gelangen. Oben hat man eine
herrliche Aussicht auf die Bergregion um den Galdhopiggen. Alles
ist tief verschneit, und Sonne und Wolken zaubern
wunderschöne Muster auf die Berghänge. Kleine
Steinpyramiden markieren alte Pfade über das Fjell.
Links und rechts der Straße türmen sich noch hohe
Schneewächten, aber glücklicherweise ist die
Straße geräumt. Auf dieser Höhe taut noch
überhaupt nichts - es gibt keine Schmelzwasserbäche.
Der Abstieg ins Tal vom Sognefjell nach Skjolden herunter ist
interessant: von Minusgraden auf 1440m geht es bis auf 0m
Meereshöhe am Fjord herunter, wo es warm genug für
kurze Klamotten ohne Unterwäsche ist.
In Skjolden nehme ich die schmale, kaum befahrene Straße
nach Urmes. Witzig sind die drei langen, unbeleuchteten Tunnel.
Der längste, ein 900m langer Tunnel, hat nicht mal
Reflektoren oder Seitenmarkierungen, sondern ist Grau in Grau. Es
ist fast unmöglich zu unterscheiden, ob im Licht des
Scheinwerfers Wand, Decke oder Boden zu sehen sind. Ich taste
mich sehr langsam und vorsichtig hindurch. Interessanterweise hat
die Kommune am Anfang und Ende der Tunnels Briefkästen mit
Taschenlampen für Radfahrer ohne Licht angebracht. Die Lampe
ist nach Benutzung jeweils in den Briefkasten am anderen
Tunnelende einzuwerfen. Auf dem Weg nach Urmes besichtige ich den
Feigumfossen, den mit 218m zweithöchsten Wasserfall
Norwegens.
Ab Urmes geht plötzlich alles schief: Ich habe die letzte Fähre des Tages um ein paar Minuten verpasst. Da ich noch nicht müde bin, möchte ich aber gern weiter. Erst versuche ich den Wanderweg durchs Krokendal, aber nach einer halben Stunde bergaufschiebens wird der so felsig, dass man Rad und Gepäck tragen müsste -- geht nicht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als umzukehren und die bekannte Strecke um den Fjord wieder herumzufahren. Einen schönen Platz für mein Zelt finde ich auch nicht. Ich zelte neben einem Wasserfall an der Straße, in dem man zwar kalt duschen kann, dessen Lärm einen aber nicht schlafen läßt.
117km, 7:30h, 2000 Höhenmeter, 1440m max. Höhe, Wetter sonnig bis wolkig
Da ich sowieso nicht schlafen kann, stehe ich um 4 Uhr Morgens
wieder auf und fahre weiter. Die Sonne guckt grade über die
Bergkämme am Lusterfjord.
Ich folge der RV55 bis Sognedal, und nehme dann die 5
über Kaupanger bis zur Fähre. In den frühen
Morgenstunden weht kein Lüftchen, und der ganze riesige
Fjord ist blank wie ein Spiegel.
Dabei passiere ich mit 3km meinen bisher längsten Tunnel. Die Fähre ist sehr groß: schon im Tunnel beginnen die Einfädelspuren, und es verkehren zwei Fähren parallel. Der 6km lange Tunnel nach Erdal ist für Radfahrer leider gesperrt. Zwar ist der Pole, dem ich am 2. Tag begegnet bin, trotzdem durchgefahren. Aber ich habe von einigen mir am Vortag entgegenkommenden Radlern gehört, dass der Rallarvegen sowieso noch tief verschneit und unpassierbar ist, sodass ich eigentlich sowieso keinen Sinn darin sehe, in diese Richtung weiterzufahren. Auf Touristengedränge mit dem Rad in der Bahn habe ich absolut keine Lust.
Also nehme ich die RV53 (viele 1-2.5km lange Tunnels) nach Ovre Ardal. Die gefällt mir wider Erwarten erstaunlich gut. Hier wirkt Norwegen endlich mal authentisch: keine Wohnmobile, ein bisschen staubig, nichts ist auf Hochglanz poliert, keine Touristenbuden etc.; stattdessen ganz normaler Alltagsbetrieb, ein bisschen Industrie. Nach dem Touristenzirkus der letzten Tage empfinde ich das gradezu als Erleichterung.
Nach Ovre Ardal geht es zur Sache: es beginnt zu regnen, und
es geht kräftig bergauf bis zum Tyin-See auf 1100m
Höhe.
Oben bin ich so durchweicht und klebrig, dass ich keine Lust auf Zelten habe: ich nehme ein Hotelzimmer im Filefjellstuene. Das Zimmer ist zwar teuer, entpuppt sich aber als wunderschöne und große Suite: Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, Bad, Küche, Diele, Balkon, Fußbodenheizung, beheiztes Trockengestell für Kleidung und Schuhe. Ich wasche meine Sachen und schlafe wunderbar.
160km, 10:00h, 2400 Höhenmeter, 1130m max. Höhe, Wetter sonnig bis wolkig, Nachmittag Regen
Heute genieße ich zuerst das fabelhafte englische Frühstück im Hotel. Die Bedienung fährt kräftig auf: belegte Brote, knusprig gebratener Schinke, Spiegelei, Rüherei, Toast, Kaffe, Orangensaft, Waffeln, Marmelade, eingelegter Fisch, Obst - ich esse alles bis auf die Tischdekoration.
Ab heute habe ich keine feste Route mehr: die Orte, die ich
unbedingt sehen wollte, habe ich angesteuert, und von nun an geht
es nur ungefähr Richtung Heimat. Ich folge erst der kaum
befahrenen E16 (Teil des Kongsvegen), dann durchs Hemsdalen auf
der 52. Unterwegs gibt es immer wieder schöne Ausblicke auf
Seen und flache Hochgebirgsebenen (Fjells).
Ab Gol biege ich ins Hallingdal ab, und folge der leider stark befahrenen 7 bis Nesbyen. Hier mache ich einen großen Fehler: mit Cola im Bauch und Hammerfall auf dem MP3-Player rase ich die 500 Höhenmeter von Nesbyen bis zum Tunhovdfjorden viel zu schnell auf dem mittleren Kettenblatt rauf. Die nächsten Tage werde ich meine Knie heftig spüren.
Oben regnet es dann heftiger. Ich habe keine Zeit, mir einen besonders schönen Zeltplatz zu suchen, und schlage mein Lager in einem Mückenverseuchten Wäldchen auf. Inzwischen habe ich aber Übung im Umgang mit den Biestern und bekomme nur noch wenige Stiche.
160km, 8:45h, 1600 Höhenmeter, 1146m max. Höhe, Wetter bewölkt, Regen von 14 bis 19 Uhr
Heute geht es erst nach Rodberg, und dann durchs Numedalen.
Bei Nore habe ich endlich mal eine Stabkirche von innen
gesehen. Hübsche alte Malereien auf Holz, und alles macht
einen wahrhaft antiken, uralten Eindruck. Leider ist aus
unerfindlichen Gründen kein Fotografieren erlaubt, auch
nicht ohne Blitz.
Weiter gehts über Straßen, die vom Regen
unmittelbar vor mir nass sind. Hier im Süden von Norwegen
scheint der Regen nicht so gut zielen zu können. Mich
erwischen nur ein paar heftige Platzregen, aber der
befürchtete Dauerregen bleibt aus, und ich bin
weitestegehend im Sonnenschein unterwegs. Die Straßen sind
gesäumt von alten Bauernhöfen, mit z.T.
wunderschön erhaltenen hölzernen Speichergebäuden.
An der Stabkirche bei Rollag mache ich eine längere Pause, um meine Knie zu schonen. Hier unterhalte ich mich eine halbe Stunde mit dem jungen Norweger, der den Einlaß macht: "You came from Trondheim on this???" -- schierer Unglauben. Ich gebe eine Runde Schokolade aus, und bekomme ein paar Fotos vom prächtigen Innern der Kirche. Ich mag Norweger, alle die ich getroffen habe waren sehr freundlich und offen; es macht Spaß sich mit ihnen zu unterhalten.
Da hier die Mücken bei weitem nicht so zahlreich und
bissig sind wie in Mittelnorwegen, wage ich es, mein Zelt am
Fluß aufzustellen. Abends kommt der Bauer mit dem Trecker
vorbei, und wir unterhalten uns ein wenig. Ich bin schwer
beeindruckt: sogar die Landwirte sprechen fließend
englisch. Der Bauer hat nichts dagegen, dass ich auf seiner Wiese
übernachte. Ich schwimme noch eine Runde im Fluß, und
genieße die Aussicht.
106km, 6:00h, 800 Höhenmeter, 818m max. Höhe, wolkig, ein paar heftige Platzregen
Heute sehe ich die Regenwolken im wesentlichen nördlich,
also hinter mir. Die Landschaft im Numedal ähnelt immer mehr
dem Schwarzwald: nicht allzu steil und hoch, bewaldet auf den
Hügeln, Landwirtschaft auf den ebenen Flächen.
Bei Kongsberg treffe ich dann die Entscheidung: ich werde Oslo
auslassen, und etwas weiter südlich fahren, um dann mit der
Fähre Horten-Moss übers Skagerrak überzusetzen.
Alle, die ich bisher getroffen habe, haben nur gesagt, Oslo sei
eine große Stadt, aber unverzichtbare
Sehenswürdigkeiten scheine ich da nicht zu verpassen. Dann
bleibe ich doch lieber noch eine Weile in dünnbesiedelten
Regionen.
Mein Zelt schlage ich auf einer Lichtung auf, nachdem ich in einem See in der Nähe geschwommen bin.
90km, 5:45h, 900 Höhenmeter, 200m max. Höhe, Wetter sonnig, stetiger Gegenwind
Heute geht es nach einer kurzen Fahrt von 30km mit der
Fähre von Horton nach Moss herüber. Die Fähre ist
groß, und drei von den Dingern fahren im Dauereinsatz. Aus
Versehen fahre ich schwarz: als Radfahrer darf man nicht die
Autorampe nutzen, und kommt nicht über den
Fußgängersteig. Daher verpasse ich jegliche
Hinweisschilder auf das Ticket Office, und erfahre erst auf der
Fähre von einem Mitpassagier, dass ich das Ticket im Hafen
hätte kaufen müssen. War aber kein Problem,
kontrolliert wurde nicht. Ab Moss folge ich dem North Sea
Cycle Path. Der ist hier eine echte Horrorstrecke: geführt
über die allerkleinsten, sandigen Wege voller Wurzeln und
Steine, zum Teil muss man sogar schieben. Hinter Halmstad sagt
ein Wegweiser, es wären noch 40km bis Frederikstad. Ich habe
die Nase voll von diesen Wegen. Über die Landstraße
sinds nur 20km, und das auf gut asphaltierten Straßen. Kurz
vor Sarpsborg finde ich eine einladende Badestelle, und mache
erst mal Pause.
Bei Svinesund fahre ich aus Versehen über die Grenze nach Schweden. Eigentlich habe ich noch jede Menge Norwegische Kronen übrig und wollte noch gar nicht so weit fahren. Aber hinter einer Brücke sehe ich auf einmal ein Duty-Free-Plakat und jede Menge Läden mit billigem Alkohol, Tabak und Porno-Angeboten, und schließe daraus, ich habe grade die Grenze überquert. 15km weiter stelle ich mein Zelt auf einer Waldlichtung auf.
123km, 8:00h, 1300 Höhenmeter, 164m max. Höhe, Wetter sonnig, stetiger Gegenwind
In Schweden folge ich weiter der North Sea Cycle Route, die hier über wesentlich bessere Straßen geführt ist. Allerdings nehme ich jeweils die direkteste Landstraße, wenn die Radroute zu sehr auf eine Landzunge oder Halbinsel abschweift.
Heute ist der Tag der Felsritzungen: ich komme an bestimmt
8-10 Schildern "Hällristning" im Bohuslän (Region
Westschwedens zwischen Halden und Uddevalla) vorbei. Die
größten liegen bei Tanum, und sind zur besseren
Sichtbarkeit mit roter Farbe gefüllt. Die Ersteller
müssen eine ziemliche Penisfixierung gehabt haben: bei jeder
Person, jedem Pferd und jedem Ochsen wird ganz deutlich darauf
hingewiesen, dass es sich um ein männliches Subjekt handelt.
Ich habe sogar ein Bild von einem Mann, der sich mit einer Kuh
oder einem Schaf vergnügt.
Die Erklärungen zu den Felsritzungen (die überall
auch in deutsch und englisch angeboten werden) sind lesenswert.
Während die ältesten Ritzungen viele kleine Figuren
zeigen, dominieren auf späteren Ritzungen wenige,
übergroße Göttergestalten, die z.T. sogar
ältere Ritzungen überdecken. Zu den jüngsten
Darstellungen gehören dann sogar Karrikaturen, z.B. ein Mann
mit übergroßer Nase, der krumm auf einem Pferd mit
Hohlkreuz sitzt.
Weiter geht es entlang der Schärenküste. Man kann
schön verfolgen, wie die Gletscher die Küste in
Ost-West-Richtung abgerundet und abgeflacht haben: jeder einzelne
Felsen ist rundlich, und alle Einkerbungen verlaufen strikt
parallel von Nordost nach Südwest. Weil ich nach
Südosten will, also senkrecht dazu fahre, geht es den ganzen
Tag auf und ab. Der Gegenwind ist stetig, aber nicht allzu
heftig.
Obwohl die Straße niemals höher als 95 über
den Meeresspiegel steigt, sammle ich 1250 Höhenmeter wie bei
einem durchschnittlichen Alpenpass. Aber die Aussichten machen
das mehr als wett.
Abends zelte ich dann auf einem kleinen vorgelagerten
Inselchen ungefähr 8km Luftlinie südlich von Lysekil.
Hier lerne ich eine weitere wichtige Lektion: freunde dich nicht
mit der Nachbarskatze an, nachdem du sie gestreichelt hast, will
sie mit ins Zelt.
133km, 7:30h, 1250 Höhenmeter, 95m max. Höhe, Wetter sonnig, stetiger Gegenwind
Heute geht es zunächst mit einer weiteren Fähre
wieder von der Insel herunter. Die Fähren haben keine
Schiffsschraube, sondern ziehen sich entlang eines Seils von
einem Ufer zum anderen. Offenbar sind diese Fähren hier
sogar kostenlos zu benutzen.
Der Tag vergeht weitestgehend ereignislos: schöne, ruhige Nebenstraßen entlang der Küste, ab Varekil leider Radweg neben der dichtbefahrenen Landstraße 160. Bei Stenungsund schwimme ich trotz der zahlreichen Quallen im Skagerrak. Böse Falle: das Wasser ist so salzig, dass ich hinterher stärker klebe als vorher, und mir sofort eine Stelle am Gesäß wundscheuere. Das gibt wieder drei lustige Tage in Folge. Zum Glück biegt mein Weg bei Jörlanda von der dichtbefahrenen Küste ab ins Landesinnere, wo es einige Süßwasserseen gibt, in denen ich nochmal schwimmen kann.
Ab Kungälv macht es sich bemerkbar, dass ich mich
Göteborg nähere: die Straßen werden wieder
stärker befahren. Nachdem ich seit drei Wochen keine Stadt
gesehen habe, die ich nicht in 15 Minuten mit dem Rad durchqueren
könnte, ist Göteborg dann ein ziemlicher Schock: eine
echte Großstadt.
Dummerweise komme ich gegen 19 Uhr Abends an. Daher habe ich keine Zeit für einen Stadtbummel, sondern muss zusehen, dass ich wieder in unbesiedelte Gegenden komme, wo ich mein Zelt aufschlagen kann. Das ist in einem Wäldchen hinter dem Badestrand bei Nordanskog sehr schön ruhig und einsam möglich, etwa 30km hinter Göteborg.
143km, 8:15h, 1150 Höhenmeter, 119m max. Höhe, Wetter sonnig, stetiger Gegenwind
Die Landschaft wird immer flacher. Die Schärenküste
habe ich hinter mir gelassen, hier beginnt jetzt der wirklich
ebene Teil von Schwedens Westküste.
Highlight heute ist das Naturreservat Fjäras Bräcka
in der Nähe von Kungsbacka: der tiefe, klare und kalte See
Lygnern zum schwimmen, eine sehenswerte Endmoränen- und
Heidelandschaft, und ein ausgedehntes Gräberfeld aus der
Eisenzeit.
Ich nehme die Straße endlang der Küste über
Varberg und Falkenberg. Varberg hat eine große
Festungsanlage zu bieten, sowie ein sehr sehenswertes
hölzernes Strandbad - das ist mir aber zu überlaufen.
Dagegen komme ich in Falkenberg erst ziemlich spät abends an, und gehe gern auf den hiesigen Strand: Süßwasserduschen, Toiletten, und alles sauber und kostenlos. Mein Zelt stelle ich vor dem Eingang vom Vogelschutzgebiet Grimsholmen auf. Es ist sehr schön ruhig. Hier irritiert mich ein vorbeispazierender Anwohner: er wirft einen Blick auf mein Gepäck und meint "You are not alone, right? Where is the second guy?" Dabei dachte ich bisher, ich hätte recht wenig Gepäck.
118km, 7:00h, 650 Höhenmeter, 61m max. Höhe, Wetter sonnig, stetiger Gegenwind
Heute komme ich an zahlreichen prähistorische
Grabhügeln vorbei. Diese sind leicht auszumachen, da sie
zumeist mitten in Feldern liegen.
Außerdem viele Windmühlen, und einige
vorgeschichtliche Feuersteinbrüche. Die Gegend ist flach und
gut besiedelt. Ich durchquere Halmstad, Bastad und Angelholm, und
schwimme bei Farhultsbeden im Kattegatt. Gegen Abend fahre ich
durch Helsingborg. Helsingborg ist eine sehr hübsche,
lebhafte Stadt mit einer schönen Fußgängerzone
und vielen sehenswerten Gebäuden und Festungsanlagen.
In der Abendsonne leuchten die Felder und die vereinzelt
auftauchenden Menhire noch einmal so richtig auf.
Unglücklicherweise habe ich bei Einbruch der Dunkelheit keinen Platz zum Zeltaufstellen gefunden. Die Gegend hinter Helsingborg ist einfach zu dicht bebaut. Daher schlage ich mein Zelt auf dem Campingplatz von Landskrona auf. Wirklich gefallen tut es mir aber nicht: nebenan randalieren ein paar betrunkene Schweden, die sich gelegentlich hinter ihrem Zelt übergeben. Glücklicherweise werden sie schon um 1 Uhr Nachts müde.
170km, 9:30h, 1000 Höhenmeter, 170m max. Höhe, Wetter sonnig, stetiger Gegenwind
Ich beginne den Tag mit einem Bummel durch Landskrona. Die
Zitadelle und die Strandpromenade gefallen mir.
Das nächste Highlight ist Malmö. Die 8km lange
Brücke über den Öresund ist ein Kunstwerk! Zu
Schade, dass man da mit dem Rad nicht drüber darf.
Dann geht es entlang viele Felder und Bauernhöfe bis zum
Fährhafen in Trelleborg.
Ich erreiche den Fährhafen kurz vor 18 Uhr. Es ist etwas mühsam, sich bis zum Ticket Office durchzufragen, wo man Fahrkarten für die Überfahrt von Trelleborg nach Sassnitz erwerben kann - Hinweisschilder gibt es fast keine, alles ist auf den Autoverkehr ausgelegt. Meine Fähre geht um 22 Uhr, ich habe also noch viel Zeit. Vor dem Ticket Office unterhalte ich mich ein bisschen mit einem finnischen Reiseradler, der ebenfalls nach Sassnitz übersetzen möchte. Gemeinsam fahren wir dann erst mal zum Strandbad, um ein bisschen zu schwimmen und zu essen.
Es ist ein Glücksfall, dass noch soviel Zeit bis zur Abfahrt der Fähre ist: mir reißt das Schaltseil in der Schalteinheit am Lenker. Ein weiterer Glücksfall ist, dass mein neuer finnischer Bekannter einen passenden Schraubendreher dabei hat. Zwar habe ich ein Ersatzschaltseil, aber mein Multi-Werkzeug hat nicht den richtigen Einsatz dabei, um die Schalteinheit zu öffnen. Zwar haben wir große Bedenken, dass wir Kleinteile verlieren, aber letztendlich bekommen wir innerhalb einer Stunde den Schalter auf, die ausgefransten Reste des abgerissenen Schaltseils herausoperiert und das neue eingezogen.
Der Zugang für Radfahrer zur Fähre ist eine kleine
abgeschlossene Pforte im Zaun. 10 Minuten vor Abfahrt der
Fähre kommt jemand, schließt das Tor auf und
lässt uns über die Auto-Rampe in die Fähre
einfahren -- unnötig umständlich und kompliziert,
überall sonst bin ich ja auch mit den Autos gemeinsam auf
die Fähre gefahren.
102km, 5:45h, 400 Höhenmeter, 64m max. Höhe, Wetter leicht bewölkt, leichter Gegenwind
Die Überfahrt von Trelleborg nach Sassnitz dauert etwas mehr als 4 Stunden, wir kommen also nach 2 Uhr in Sassnitz auf Rügen an. Daher suchen wir uns zunächst mal ein Wäldchen, um unsere Zelte aufzustellen und noch ein paar Stunden zu schlafen. Mein finnischer Bekannter hat tatsächlich weniger Gepäck als ich. Ihm genügt eine kurze, dünne Iso-Matte, bei der seine Beine auf dem Boden liegen, und er hat auch sonst weniger Kleidung dabei. Na ja, er wollte ja auch nicht bei 0°C auf 1000m Höhe im Schnee übernachten.
Nach dem Aufstehen sehen wir uns zunächst den
Fischereihafen in Sassnitz an, und genießen ein frisch
geräuchertes Schillerlocken-Brötchen. Danach nehmen wir
den Radweg im Jasmund-Nationalpark unter die Räder. Am
Kreidefelsen, dem Königstuhl, ist eine Menge Betrieb. Aber
sehenswert ist es auf jeden Fall.
Nachdem wir bis 15 Uhr herumgebummelt haben stelle ich fest, dass ich heute noch ein paar km machen muss, wenn ich es bis zum Abend des übernächsten Tages bis nach Magdeburg schaffen will. Also trennen wir uns, und ich nehme Kurs auf den Rügendamm nach Stralsund. Die Nebenstraßen auf Rügen bestehen aus sehr unebenem, sandigem Kopfsteinpflaster, und sind die schlechtesten, die mir auf der ganzen Reise begegnet sind. Bisher hätte ich auch mit einem Tourenrad fahren können, aber hier freue ich mich über breite Reifen und die Federgabel an meinem MTB.
Ich esse im Subway in Stralsund zu Abend, und fahre weiter bis
zu einem kleinen See, wo ich eine Runde schwimme und wegen des
plötzlich einsetzenden Regens mein Zelt aufschlage.
100km, 6:00h, 800 Höhenmeter, 166m max. Höhe, Wetter tagsüber leicht bewölkt, Abends Regenschauer
Ab heute habe ich auch keine grob vorgeplante Strecke auf dem GPS mehr. Also stelle ich Magdeburg als Ziel ein und nehme jeweils die Straße, die in die richtige Richtung führt. Nachdem ich eine Weile auf eher schlechten Kreisstraßen gegen den heftigen Gegenwind angekämpft habe, finde ich ab Dargun eine fast unbefahrene, schön ebene Landstraße, die mich bis nach Waren an die Müritz bringt. In Waren und Malchin genieße ich jeweils Kaffee und Kuchen beim Bäcker - in Norwegen und Schweden gibt es so etwas wohl nur in den größeren Städten, bzw. füllen Tankstellen diese Versorgungslücke. Da ist mir ein richtiger Bäcker mit leckerem Kuchen doch lieber.
Weil ich unterwegs 3 sehr heftige Gewitter mit starkem Wind
durchquert habe, sind meine Regensachen außen nassgeregnet
und innen nassgeschwitzt. Unter den staunenden Augen der
Passanten werfe ich das ganze nasse Zeug in Waren erst mal in die
Müritz, und spüle Dreck und Schweiß aus.
Anschließend fahre ich am Freibad in Waren vorbei, stelle
fest dass es kostenlos ist, und gehe auch erst mal schwimmen.
Die Müritz ist hier so groß wie ein kleines Meer,
aber das Wasser ist erstaunlich warm. Es muss hier in den letzten
Tagen außerordentlich heiß gewesen sein.
Da ich immernoch reichlich Strecke vor mir habe, fahre ich
noch 30km, bevor ich mich in einem Kiefernwäldchen kurz vor
Wittstock/Dosse häuslich niederlasse.
152km, 8:00h, 1350 Höhenmeter, 150m max. Höhe, Wetter wolkig, drei heftige Gewitter durchquert, starker Gegenwind
Heute ist mein letzter Tag auf der Piste. Ich folge der
immernoch erstaunlich leeren Landstraße über Wittstock
und Kyritz bis Havelberg, und suche mir erst mal einen
Bäcker mit Kaffee und Kuchen. Der Gegenwind ist heute extrem
stark. Ich war noch nie in Havelberg, und bin erstaunt, wie
winzig dieses Nest ist. Immerhin hat es einen großen Dom
und -- den Wegweisern nach zu urteilen -- einige
überregionale Bedeutung. Da mich meine Verwandten dazu drängen,
schon am Nachmittag bei ihnen zu sein, muss ich leider darauf
verzichten, die ganze Strecke bis Magdeburg zu fahren.
Stattdessen nehme ich die Elbfähre bei Sandau, und fahre
über ziemlich hässliche, dichtbefahrene
Landstraßen bei kräftigem Gegenwind nach Stendal
weiter, wo ich mit einem Regionalzug die letzten 50km bis
Magdeburg zurücklege. Damit ist meine Radreise zu Ende.
Morgen werde ich mit dem Zug zurück fahren.
114km, 6:00h, 700 Höhenmeter, 123m max. Höhe, Wetter wolkig, starker Gegenwind
Insgesamt bin ich an 19 Tagen 2384km gefahren, und habe dabei in 137,5 Stunden 21,5 Höhen-Kilometer zurückgelegt. Das entspricht 7:15 Stunden und 126km pro Tag, und einem Schnitt von 17,3km/h. Damit war ich genauso flott unterwegs wie zu Hause im Schwarzwald ohne Gepäck. Vermutlich hat mich die knappe Zeit so angetrieben, aber ich habe mich abgesehen von den drei Tagen, nachdem ich die Hügelkette bei Nesbyen viel zu schnell genommen habe, niemals überlastet gefühlt. Trotzdem werde ich versuchen, bei der nächsten Tour etwas weniger Strecke einzuplanen, um etwas mehr Zeit für Stadtbummel und dergleichen zur Verfügung zu haben.
Das Fahrrad flugzeugtauglich zu verpacken ist lästig, der Transport eines solchermaßen verpackten Rades per Bahn auch. Wenn es keine sehr guten Gründe dafür gibt, werde ich das in Zukunft meiden, und lieber per Nachtzug oder Regionalbahn reisen. Man erreicht die meisten Orte in Europa auch ohne Flugzeug, wenn man einen halben Tag mehr dafür aufwendet. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nochmal nach Norwegen fahre. Im Norden war mir das Wetter einfach zu schlecht. Es gab zu viele langweilige Streckenabschnitte, die bei gutem Wetter o.k. sind, bei schlechtem Wetter aber absolut keinen Spaß machen. In Südnorwegen ist die Landschaft zu ähnlich dem, was ich hier vor der Haustüre habe. Dazu kommen die zahlreichen Mücken.
Schweden fand ich unerwartet reizvoll. Zum einen hat das Wetter gepasst. Zum anderen ist die Westküste eine für mich völlig neue und einzigartige Landschaft. Für Abwechslung sorgen etliche Städte, zahlreiche prähistorische Stätten und viele großartige Bauwerke. Es ist mir in Schweden nie passiert, dass ich einfach mal 30km gradeaus gefahren bin, ohne dass sich etwas an der Landschaft geändert hätte oder ein interessantes Objekt aufgetaucht wäre.
Komischerweise habe ich mich die ganze Zeit wie zu Hause und nie wie im Ausland gefühlt. Das lag wohl daran, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten mit den Leuten gab, und dass die Vegetation und die Berge von ein paar Hochebenen abgesehen sehr vertraut wirken für jemanden, der oft in Mittelgebirgen unterwegs ist. Italien wirkt jedenfalls deutlich fremder.