Reisebericht Toskana'2007

Den GPS-Track der Strecke gibts hier für Google Earth bzw für Google Maps.

Vorbereitungen

So gut wie keine.

Ich kaufe drei Tage vorher Fahrkarten von Karlsruhe nach Florenz und zurück -- übrigends auf den letzten Drücker. Da Ostern vor der Tür steht, sind die Züge voll. Der IC von Karlsruhe nach München ist schon ausgebucht, ich muss einen Umweg über Heidelberg nehmen. Mit BahnCard50 kostet der Spaß ca. 200 EUR. Weiterhin kaufe ich Kekse und Getränke, esse den Kühlschrank leer, stecke grob eine Route ab, die ich auf mein GPS lade, und suche mir ein paar Vokalben für 'ich möchte ein dasda' (vorrei una questa, por favore), 'kleines Zelt für eine Person und eine Nacht' (basso tenda, una persona, una notte), das wars.

Da ich mit einem umgebastelten MTB unterwegs bin, habe ich nur sehr wenig Packvolumen, das sich auf zwei Ortlieb Frontroller und einen Norwid-Packsack mit Rollverschluss aufteilt. Es kommen mit:

Das wars, mehr passt nicht ins Gepäck. Geschlafen wird in dem einen Satz Unterwäsche, während der andere Abends gewaschen wird und über Nacht trocknen muss. Am meisten schmerzt mich, dass ich mein gutes Fahrtenmesser zu Hause lassen muss. Aber es ist einfach nicht mehr vernünftig unterzubringen. Für lange Klamotten reichts auch nicht. Sobald die Sonne untergeht, werde ich in den Schlafsack müssen.

Tag 1

Ankunft

Am Karfreitag kurz nach 9 steige ich leicht angeschlagen aus dem Nachtzug München-Florenz. Vorausgegangen ist eine wenig erholsame Nacht. Notiz an mich: das nächste Mal *unbeding* einen Platz im Schlafwagen buchen. In einem normalen Abteilwagen schläft man zu zweit ganz o.k.; zu dritt schwierig, und zu mehr als viert ist es die Hölle.

Der Fahrradtransport nach Florenz klappt wie am Schnürchen. Es gibt einen riesengroßen Packwagen, wo man sein Rad einfach reinstellt und irgendwo an den Haken an der Wand anschließt. Ein bisschen Sorgen machen die Lautsprecherdurchsagen, dass der Zug in Verona geteilt wird. Aber mein Rad und ich haben glücklicherweise Plätze in dem Zugteil, der nach Florenz durchfährt.

Der Florenzer Dom

Das erste Ziel eines jeden Florenz-Reisenden ist selbstverständlich der Dom. Mit vollem Gepäck und mit den italienischen Verhältnissen unvertraut ist es auf dem Rad reichlich anstrengend, da hinzugelangen. Letzendlich schiebe ich ein schönes Stückchen -- später fahre ich auch wie die Italiener ganz selbstverständlich falschrum durch Einbahnstraßen und Fußgängerzonen, aber am Anfang ist man als regelgewohnter Deutscher wohl zu vorsichtig.

Ple. Michelangelo

Die schönste Aussicht über Florenz hat man vom Michelangelo-Platz auf einem Hügel in der unmittelbaren Nähe eines Campingplatzes. Man sieht über die Dächer der Stadt, erkennt die Domkuppel und den Turm des Palazzo Veccio. Im Hintergrund erheben sich die Berge von Fiesole. Das imposante Gebäude unten rechts ist die Bibliotheca Nazionale.

Aber ich bin müde, es ist warm und gerammelt voll von Touristen. Also sehe ich zu, dass ich aus der Stadt rauskomme, um etwas an die frische Luft zu kommen. Immerhin muss ich zur Rückfahrt sowieso wieder hier vorbei. Nach nur 2 Stunden bin ich aus Florenz raus.

Erste Vorläufer des Chianti-Landes

Nach einer Stunde Fahrt werden die Straßen leer, und ich fange endlich an, die Reise zu genießen. Das Chianti-Land ist genau so, wie man es von Fotos der Toskana her kennt: Ein bisschen wild und bergig, mit aus groben Steinen gemauerten und moosbedeckten Gebäuden, Weinbergen, Olivenhainen. Im Hintergrund sind die ersten schneebedeckten Berge der Alpe di Catenaia zu sehen, unten ist die Straße, die ich grade hinaufgeschnauft bin.

Die italienischen Rennradfahrer habe ich das letzte Mal unten im Tal gesehen. Die mögen wohl keine steilen Anstiege. Zumal, wenn es hier bergauf geht, dann immer gleich für 200 oder 300 Meter. Dafür sind sie superfreundlich. Einer ist mir sogar nachgefahren, als ich zum Austreten in einen Waldweg abgebogen bin, um sich zu erkundigen, ob bei mir alles in Ordnung wäre.

Die Landschaft wird immer höher, steiler und wilder. Die Straße windet sich in zahllosen Serpentinen die Berge hinauf. Ich fahre nun schon ewig auf dem kleinsten Kettenblatt den Berg hinauf. Die Bergdörfer, die ich bisher gesehen habe, sind so klein, dass sie nicht mal Nebenstraßen haben. Am Straßenrand stehen die Männer, grillen, erzählen und trinken Bier. Bei mir fließt der Schweiß in Strömen. Aus den letzten Reisen weiß ich, dass es etwa zwei bis drei Tage dauert, dann bemerkt man das schwere Gepäck hinten auf dem Rad gar nicht mehr. Im Augenblick wünsche ich mir aber dringend mehr Kondition.

Tagesziel erreicht

Der Höhenmesser zeigt 750m auf dem Valico del Morellino-Pass, und ich freue mich, zufällig an einem Campingplatz vorbeizukommen. Insgesamt habe ich heute nur 60km, aber 1400 Höhenmeter geschafft und dazu 6:30 Stunden gebraucht -- nicht schlecht für 40 Stunden ohne Schlaf, aber nun falle ich wie tot ins Zelt. Hätte ich den Campingplatz nicht gefunden, hätte ich noch 20km weiterfahren müssen. Auf demPlatz gibts die erste Überraschung: der Mini-Markt ist besser ausgestattet als manche Feinkostläden in Deutschland. Nur der Geiz hält mich davon ab, meine mitgebrachten Kekse allesamt wegzuwerfen.

Tag 2

Chianti-Land

Herrlich ausgeschlafen geht es in den neuen Tag. Die Landschaft ist unglaublich schön, Muskelkater hab ich keinen, also beschließe ich, so lange wie möglich hier im Gebirge zu bleiben. Hab eigentlich gar keine Lust auf das in Siena zu erwartende Gedränge.

Weinberge allerorten

Im Herzen des Chianti-Landes findet man allerorten Weinberge und Weingüter, die mit ihren robusten Mauern aus grauem Fels eher wie Festungen aussehen. Die Luft ist angenehm mild. Seit Florenz sind mir noch keine anderen Radfahrer begegnet -- hier treffe ich die ersten (deutschen) Reiseradler, die wie ich mit Zelt und Gepäck unterwegs sind. Später lasse ich mir von Einheimischen erklären, dass praktisch alle Radreisenden, die mit Zelt und Schlafsack in Italien unterwegs sind, Deutsche sind :-)

Ich habe noch jede Menge Saft in den Beinen und erwarte (ein Irrtum!) flacheres Gelände bei Siena. Also beschließe ich einen Abstecher nach Castellina.

Castellina

In Castellina ist grade Markttag, und ich kaufe meine ersten frischen Lebensmittel. Birnen, Bananen, Brot und ein mit einer würzigen Hack-Masse gefülltes Huhn. Die Einheimischen verstehen mich zwar nicht, sind aber sehr nett. Mein Wechselgeld bekomme ich in Form von Naturalien zurück -- beim Obststand ein paar Mandarinen, beim Bräter gibts ein paar Kartoffelbällchen extra. Finde ich sympatisch, suche mir gleich eine Ecke hinter der Kirche, um die Neuerwerbungen zu vernichten.

Ausserdem begegne ich hier einem (natürlich ebenfalls deutschen) Reiseradlerpärchen mit Tandem. Frisch Gestärkt gehts wieder auf die Piste.

Dörfer am Wegesrand

Siena

Siena ist erreicht. Auf dem Bild die Piazza del Campo mit dem Palazzo Publico.

Ich habe glücklicherweise vorher eine Route auf mein GPS geladen, die mich mit wenig Verkehr mitten in die Stadt führt. Die Stadt ist wirklich wunderschön -- allerdings auch wieder gerammelt voll von Touristen. Nach zwei Stunden bummeln will ich wieder aus der Stadt. Das gestaltet sich schwieriger als erwartet. Die italienische Verkehrsführung ist etwas gewöhnungsbedürftig. Insbesondere verwirren mich die Kreisverkehre mit Abkürzungen für Leute, die wenden oder rechts abbiegen wollen. Bis man den dreh' raus hat, landet man öfter auf der falschen Ausfahrt oder fährt eine Ehrenrunde.

Der Dom in Siena

Tagesziel Sovicille

Das Tagesziel ist der Campingplatz in Sovicille. Glücklicherweise hab ich mich vorher schlau gemacht, dass der Campeggio in Siena noch nicht geöffnet hat. In Sovicille treffe ich zwei junge Reiseradler aus Kaiserslautern, die mit ihren Rennrädern unterwegs sind. Ich hätte nie gedacht, dass man ein Rennrad so hoch beladen kann. Die beiden haben für Sonntag und Ostermontag in Siena kräftig eingekauft, und haben mit dem Extra-Gewicht ganz schön zu kämpfen. Ich beschließe, die Nahrungsmittelbeschaffung einfach auf mich drauf zukommen zu lassen, und auf offene Läden in den größeren Städten zu hoffen.

Heute habe ich 96km in 8 Stunden geschafft (incl. Stadtbummel Siena), dabei waren 1600 Höhenmeter. Fühle mich richtig wohl.

Dummerweise fällt mir auf, dass ich ein paar Vokabeln vergessen habe. So weit abseits der Touristenströme sprechen die Einheimischen nur italienisch. Doch was heißt 'ich möchte was warmes zu Essen, egal was', und was heißt 'Butter'? Frischkäse unterm Honig ist nur bedingt lecker -- man muss schon fragen, um rauszufinden, was da in der Alufolie steckt, draufzeigen reicht nicht :-)

Tag 3

Nach dem ich mir im Mini-Markt noch ein paar Cracker, drei Brote und einen kompletten Käse mitgenommen habe (der im Laufe der nächsten drei Tage in den heißen Ortlieb-Taschen für ein interessantes Aroma sorgt), gehts wieder auf die Piste. Ziel für heute sind San Gimignano und Volterra. Bald biege ich wieder auf eine unbefestigte Strada Provinciale ab. Es geht wieder kräftig bergauf, und die Aussicht lädt wieder zum anhalten und fotografieren ein. Häufig kommt man an befestigten Anlagen vorbei, seien es Klöster, Dörfer oder Burgen.

Oben

Nach den üblichen paar hundert Höhenmetern ist der höchste Punkt (582m) der Straße erreicht. Der Ausblick in die Ebene verspricht einen Tag mit weniger Höhenmetern (ein Irrtum!). Zumindest geht es die nächsten 10km wieder schön bergab, bis Colle di Val d'Elsa erreicht ist.

Colle di Val d'Elsa

Colle di Val d'Elsa ist eine Überraschung. Die Stadt wurde nicht im Reiseführer erwähnt; ich komme hier auch rein zufällig dran vorbei. Die ganze Altstadt ist eine einzige von einer Stadtmauer umgebene Festung. Sie ist auf zwei Hügelkuppen angelegt, die über eine große Brücke miteinander verbunden sind. Hier mache ich erst einmal Mittag auf einer Bank im Park, vernichte das erste Brot und ein Viertel vom Käse, bevor ich durch die Tore und engen Gassen der Stadt bummele.

San Gimignano

San Gimignano heißt nicht umsonst 'Manhattan des Mittelalters': schon von Ferne sieht man die insgesamt sieben Wohntürme, die die drei- bis vierstöckigen Gebäude der Stadt überragen. Ich erreiche die Stadt über eine ausnehmend steile Schotterpiste von Süden her, während sich auf der Straße nebenan die Reisebusse und Campingmobile stauen.

Die Stadt wäre sehr malerisch -- wenn die Touristenmassen nicht wären. Ich wage es mir kaum auszumalen, wie es hier in der Hauptsaison zugehen mag. Immerhin ist San Gimignano nur eine Kleinstadt, verglichen mit Florenz und Siena. Also ziehe ich mein übliches Programm durch: einmal quer durch die Stadt schlendern, dann wieder auf die Straße. Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht -- um nichts in der Welt hätte ich an diesem oder den anderen genannten Orten achtlos vorbeifahren wollen! Aber ich hab einfach keine Lust, mich für ein/zwei Stunden zwischen die anderen Pauschaltouristen in ein überfülltes Ristorante zu quetschen, sondern genieße viel lieber die Freiheit, unterwegs zu sein.

Vor Volterra

15km hinter San Gimignano ändert sich die Landschaft das erste mal drastisch. Aus den steilen Bergen mit Trockenwäldern werden sanfte, grüne Wiesen, die bis zu den nächsten Bergkämmen in ca. 30km Entfernung reichen. Die Kamera kann dieses unglaublich liebliche Erscheinungsbild kaum wiedergeben. Es ist warm und sonnig, geht leicht bergab, der Wind bläst sanft und die Vögel zwitschern. Alle 10 Minuten kommt mal ein Auto vorbei. Ich bremse auf der Abfahrt so viel wie nie zuvor, weil ich keine Lust habe, diese Landschaft mit 40 Sachen einfach so an mir vorbeirauschen zu lassen.

Die Balze

Die sanften Hügel sind das Ergebnis einer sehr mächtigen lehmigen Bodenschicht, die durch Wind und Wetter abgetragen und abgerundet wird. Es gibt zahlreiche 'offene' Abbruchkanten, wo diese Erosion in vollem Gange ist. Diese Gebiete (oder die ganze Region?) nennt sich 'Balze'. Würde es in Italien soviel regnen wie in Deutschland, wären die Gehöfte und Klöster auf dem Bild schon längst Opfer eines Bergrutsches geworden.

Volterra

Volterra wird dominiert von einer *riesigen* Festungsanlage, die heute noch als Knast verwendet wird. Die Vorstellung ist schon eigenartig, dass hinter den gewaltigen Festungsmauern Strafgefangene festgehalten werden, während unmittelbar davor Parks liegen, durch die die Touristen zusammen mit den Einheimischen flanieren.

Abgesehen von der Festung bietet Volterra die für Italien typischen engen Gassen und wuchtigen Palazzos. Das Palazzo dei Priori auf dem Bild ist sogar das älteste erhaltene Rathaus der Toscana.

Von der Straße rund um die Festung hat man eine ausgezeichnete Fernsicht ins Umland. Volterra hat zwar einen geöffneten Campingplatz, aber es ist erst kurz nach 16 Uhr -- also entschließe ich mich, in Richtung Küste weiterzufahren. Notfalls gibts direkt an der Küste jede Menge offener Campingplätze, falls sich unterwegs keine Gelegenheit bietet.

Bergauf

Langsam werden die Schatten länger, und die Küste rückt nicht näher: das ewige Bergauffahren schüttelt meine Planung ganz schön durcheinander. Ausserdem werde ich langsam müde...

Tagesziel erreicht

Bei Guardistallo, 10km vor der Küste, stoße ich zufällig auf einen Wegweiser auf einen Campingplatz. Der entpuppt sich dann zwar als noch nicht offen, der wirklich nette Besitzer lässt mich aber trotzdem rein; ich bin der einzige Gast. Ich schlage mein Zelt in einem malerischen Pinienhain auf, nachdem ich im Schein der Taschenlampe herumliegende Pinienzapfen davongekickt habe. Da die Sanitäranlagen auch noch nicht offen sind, wasche ich mich unter einem Wasserhahn an der Camping-Wiese, und freue mich, noch ausreichend Brot und Käse für ein Abendessen und Frühstück dabeizuhaben.

Heute habe ich 117km und 2150 Höhenmeter geschafft, und habe dazu insgesamt 7 Stunden in Bewegung und 1:30 Stunden Pause gebraucht.

Tag 4

Zur Küste

Weil am Ostermontag die Geschäfte geschlossen haben, schenkt mir der freundliche Campingplatz-Besitzer bei der Abreise ein Stück Kuchen und ein halbes Brot zum Frühstück. Deswegen ein bisschen Reklame: Reisender, bist du zufällig in der Gegend unterwegs, findest du eine sehr herzliche Aufnahme auf dem Campingplatz bei 43°18'53.41"N, 10°35'31.13"E an der Straße zwischen Cecina und Guardistallo.

In Cecina an der Küste finde ich dann noch einen offenen Laden, wo ich mir eine Tüte Kekse, Brot und eine große Tüte mit Birnen und Bananen kaufe. Das ist aber das einzg erfreuliche, was die Küste zu bieten hat. Die Straße ist dicht mit stinkenden Campingmobilen befahren, und die Campingplätze liegen so dicht beisammen, dass man kaum das Meer sieht. Also wende ich mich bei Rosignano wieder ins Landesinnere, obwohl das einen langen Umweg mitten über einen Höhenzug erfordert, um nach Livorno zu kommen.

Vor Livorno

Die Landschaft wechselt ein weiteres Mal: dieser Berg ist dicht mit harzigen Pinien bewachsen. Es riecht fast wie in den sommerlichen Kiefernwäldern daheim. Die Straße von Colognole nach Livorno gehört auch zu denen, die man einfach mal entlanggeradelt sein muss: die Aussicht auf Livorno aus ein paar hundert Metern Höhe ist einfach grandios!

Livorno

Livorno macht einen sehr zentraleuropäischen, aufgeräumten Eindruck. Laut Reiseführer haben hier die Faschisten heftig 'ordnend' in das Stadtbild eingegriffen. Es macht aber Spaß, durch den Hafen zu schlendern, ein bisschen Seeluft zu schnuppern und sich das alte Hafenkastell anzusehen, das heute fest in der Hand (Pfote) zahlreicher Straßenkatzen ist. Der Kontrast zwischen der alten Festung aus roten Ziegeln und den modernen Fährschiffen und Motorjachten könnte kaum größer sein.

Leider hat Livorno keinen Campingplatz (zumindest hab ich keinen gesehen), also mache ich mich auf den Weg nach Pisa. Leider hab ich bei den Straßen nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Es gibt zwar eine Autobahn, eine Strada Statale und eine kleinere Landstraße, aber alles sehr dicht befahren. Ich entscheide mich für die Landstraße, aber Spaß machen die stinkenden 20km nicht.

Tagesziel Pisa

Die Durchfahrt durch Pisa ist abenteuerlich. Im Internet tauchen immer mal wieder Videos von verrückten Fahrradkurieren auf, die eine wilde Fahrt unter Mißachtung sämtlicher Verkehrsregeln durch Boston oder New York veranstalten -- sowas ist in Pisa zur Rush Hour vollkommen normal, wenn man vorankommen will. Man zirkelt sich zwischen ungezählten Autos und Motorrollern im Stop-and-Go-Verkehr durch, fährt verkehrtherum durch Einbahnstraßen, selbst wenn die dicht befahren sind, benutzt ganz selbstverständlich die Mittellinie zwischen den Fahrspuren sowie die Bus- und Taxi-Spuren mit, und hat immer im Blick, ob zur Stoßstange vom Hintermann noch ein halber Meter Platz ist. Rote Ampeln sind eher Empfehlungen denn Anweisungen. Und egal wie irre man fährt, man ist immernoch um Klassen rücksichtsvoller als die Einheimischen auf ihren Motorrollern (die für diese Darbietung öfters Beifall in Form von 'Stupido!'-Rufen und wildem Gehupe bekommen). Andere Radfahrer sieht man nicht auf der Straße, die bleiben entweder in den Fußgängerzonen oder auf dem Gehweg.

Ich stelle mein Rad auf dem Zeltplatz unter, esse einen Happen, und gehe zu Fuß zum schiefen Turm, nachdem sich gegen halb acht die Touristenmassen irgendwohin verlaufen haben. Pisa ist eine sehr schöne Stadt. Ich sollte meine Touren das nächste Mal möglichst so planen, dass ich gegen Abend ankomme, nachdem die Tagesgäste weg sind.

Heute habe ich 108km und 1085 Höhenmeter auf dem GPS. Dabei war die Maximalhöhe nur 354m. Langsam komme ich in Form; bin eigentlich noch gar nicht müde.

Tag 5

Nach Lucca

Heute mache ich noch einen kurzen Bummel durch die Ecken von Pisa, die ich gestern ausgelassen habe, dann steht Lucca auf dem Plan. Wie es danach weitergeht, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall sehen die Berge schon mal vielversprechend aus, und die Straße aus Pisa heraus ist auch nicht so entsetzlich befahren. Hinter San Giuliano Terme fahre ich erst einmal ein paar Serpentinen zum Tunnel hinauf. Der Tunnel ist so lang und düster, dass ich erst einmal mein Batterierücklicht herauskrame. Im Tunnel ist ein so starkes Gebläse installiert, dass man von dem Krach halb taub wieder herauskommt. Auf der anderen Seite erwartet einen nach kurzer Fahrt dann Lucca.

Lucca

Das Stadtbild von Lucca wird beherrscht durch eine riesengroße Stadtmauer. Die Mauer ist so breit, dass sie zwei Reihen Bäume und eine Straße trägt, die auf wenigstens 5km Länge einmal um die Altstadt herumführt. Von der Mauer aus hat man einen sehr schönen Blick in die einzelnen Stadtteile, auf die Parks und Villen.

Innen ist wieder Markt.Ich kaufe mir erst mal kräftig Obst zum Mittagessen. Der freundliche Händler am Stand kann zwar nur italienisch, feilscht aber trotzdem erstaunlich hartnäckig :)

Die Stadt macht einen sehr natürlichen und sympatischen Eindruck. Die Touristen sind gegenüber den Einheimischen nur knapp in der Überzahl. Niemand hetzt, es gibt kein Gerenne und Geschiebe. Schade, dass ich nur eine knappe Woche Urlaub habe.

Villa Torrigiani

Die nächste Station ist die Villa Torrigiani, die in meinem Reiseführer erwähnt wird. Ich hab keine Lust auf eine Besichtigung, sondern setze mich erst mal unter einen Baum, esse die langsam matschig werdenden Vorräte und überlege, wo es als nächstes hingehen soll. Es ist früher Nachmittag, und ich will ja nicht heute Abend schon wieder in Florenz sein. Also beschließe ich einen Umweg über die nahen Berge, allgemeine Richtung ist der Campingplatz in Montecatini Terme.

San Gennaro

Unterwegs komme ich an San Gennaro (Lucca) vorbei. Der Ort liegt auf einem Hügelzug, der von den Bergen aus in die Tiefebene hineinragt, und bietet einen unglaublichen Anblick vor dem Hintergrund der dicht besiedelten Ebene.

Collodi

Laut Google Earth müsste das ein Teil von Collodi sein, der sich da so eng den Berg hinaufzieht. Unten ein Schloss, oben eine befestigte Burg, in der Mitte Wohnhäuser.

Unterwegs

Langsam wird es Zeit für eine weitere Rast. Ich setze mich in einem Dörflein auf eine Bank und packe meine Sachen aus. Kaum fange ich an zu essen, habe ich auch schon eine Katze auf dem Schoß und eine Katzennase im Honigglas :)

Tagesziel Montecatini Terme

Das ist der letzte Abstieg, bevor es zum Campingplatz in Montecatini Terme nochmal hundert Meter raufgeht. Heute habe ich nicht viel geschafft, nur 78km und 840 Höhenmeter in 6 Stunden. Aber der nächste Platz ist eindeutig zu weit weg, um ihn noch im Hellen zu erreichen. Ausserdem locken mich die Berge; ich will noch gar nicht wieder in Richtung Florenz fahren.

Tag 6

Heute ist eine Bergetappe dran. Ich habe noch einen ganzen Tag übrig, bevor morgen Abend mein Zug aus Florenz abfährt. Also borge ich mir von einem Schweizer Camper eine Karte, und gebe ein paar Zwischenziele in mein GPS ein. Zuerst geht es aber über einen Hügelzug (der mir schon wieder 300 Höhenmeter beschert) nach Pistoia hinunter.

Pistoia

In Pistoia ist wieder ein Markt, an dem ich mich mit Obst eindecke. Ich frage mich, woher die ganzen Einheimischen die Zeit haben, unter Mittag auf dem Markt einkaufen zu gehen. In Deutschland würde man um diese Zeit nur Arbeitslose, Rentner und Schulschwänzer sehen. Hier in Italien scheint man dagegegen Mittags Zeit zu haben.

Der Verkehr in Pistoia ist fast so chaotisch wie in Pisa. Insbesondere die Einbahnstraßen machen mir zu schaffen. Inzwischen benutze ich mein GPS tatsächlich zum Auto-Routing: auf der Karte zum gewünschten Ort scrollen, zweimal Enter, und das Ding leitet mich durch das Gewirr von Einbahnstraßen und Kreisverkehren zuverlässig zum Ziel. Ein lohnenswertes Ziel ist insbesondere die Festung aus schwarzen Ziegeln.

Collina-Pass

Jetzt will ich aber endlich Berge sehen. Zuerst fahre ich über Nebenstraßen zum Passo di Collina auf 930m Höhe. 900 Höhenmeter am Stück sind ganz schön anstrengend, wenn die Straße zum Teil so steil wird, dass man schieben muss, weil das Vorderrad vom Boden abhebt. Darum fahre ich ein Stück SS64, bei deren moderater Steigung man auf mittleren Kettenblatt ganz flott nach oben kommt. Aber bald wird mir der LKW-Verkehr zu lästig, und ich biege wieder auf eine Seitenstraße ab.

Gebirge

Der nächste Abschnitt ist die Schotterpiste vom Collina-Pass über den 1300m hohen M. Bucciana nach Torri. Über 1000m Höhe ändert sich die Landschaft wieder drastisch. In den schattigen Flecken liegt noch Schnee, die Straße sieht streckenweise aus, als könnte Hannibal gleich mit ein paar Kriegselefanten vorbeikommen, und die Aussicht auf die Berge ringsum ist grandios. Auf einigen der entfernteren Gipfeln liegt noch eine geschlossene Schneedecke. Soviel werde ich heute aber nicht mehr schaffen.

Knirsch!

Natürlich musste es ja mitten im Nirgendwo passieren: Chain-Suck, Kette um ca. 30° in sich verdreht. Als Notreparatur habe ich einen Imbusschlüssel zwischen die verbogenen Kettenglieder gesteckt und mit einem Kettennieter dagegengedrückt habe, bis die Kette wieder einigermaßen gradegebogen war. Bei einigen Ritzeln (und natürlich grade dem Berggang) sprang die Kette zwar immer aufs nächstkleinere Ritzel, aber laut GPS sind es nur noch 40km bis zum nächsten Campingplatz.

Ich fahre erst mal bei Torri auf 500m Höhe herunter, weil ich auf meiner Karte eine Straße neben einem Fluß sehe und einen langsamen Abstieg in Richtung Ebene erhoffe. Unten dann die Enttäuschung: der Fluß fließt in die falsche Richtung, tiefer rein ins Gebirge! Ich nehme trotzdem die Straße, darf aber wieder auf 850m hinaufstrampeln, und zwar ohne Berggang :)

Die Gegend ist wirklich abgelegen. 2m neben der Straße grasen Rehe und glotzen einen nur verwundert an, wenn man stehenbleibt und seinen Fotoapparat auspackt.

Endlich nur noch bergab

Durch den Chain-Suck und die langsamere Reisegeschwindigkeit habe ich eine Menge Zeit verloren. Die Schatten werden schon länger, und der nächste Campingplatz ist immernoch 20km entfernt. Dafür habe ich eine großartige Aussicht über Pistoia hinweg in Richtung Florenz in der Abenddämmerung.

Tagesziel San Baronto

Dummerweise muss ich zum Campingplatz nochmal 150m rauf, und alles ohne Berggang. Langsam schleift meine Zunge auf dem Boden. Ich bin wirklich froh, als ich den Zeltplatz im Dunkeln erreiche, und freue mich auch, dass mich die Rezeption noch reinlässt, obwohl eigentlich schon geschlossen wäre.

Heute habe ich 120km und 2700 Höhenmeter geschafft. Insgesamt war ich 9:45 Stunden unterwegs, davon 2 Stunden Pause. Zur Feier des Tages gönne ich mir ein 20-Euro-Essen mit zwei Bier im Ristorante, und plumpse dann ins Bett.

Tag 7

Heute muss ich nur bis 21:45 Uhr in Florenz sein. Laut GPS sind das nur 40km. Also versuche ich erst mal, meinen Chain-Suck zu reparieren. Ich habe einen Kettennietendrücker am Multi-Tool, drei Glieder Ersatzkette und ein PowerLink-Kettenschloss dabei. Also werfe ich erst mal die verbogenen Glieder raus. Nach der Operation hat der Kettennieter kein Gewinde mehr -- aber wenigstens hat es für eine einmalige Benutzung gereicht, also Ziel erfüllt. Zu Hause gibts einen neuen. Zu meinem Pech sind aber die Ersatzkettenglieder nagelneu, die alte Kette hatte aber schon ca. 8000km hinter sich. Das merkt man beim Treten sehr deutlich; nun sprangen andere Gänge (zum Glück nicht mehr der Berggang).

Die beiden Biere am Abend waren keine gute Idee. Heute ist es kochend heiß und schwül, ich habe auf der kurzen Strecke nach Florenz ganz schön zu kämpfen.

Wieder in Florenz

In Florenz komme ich am Nachmittag an. Der erste Weg geht zum Bahnhof: in Deutschland hatte man mir erklärt, ich müsse hier vor Ort eine internationale Fahrradkarte kaufen, das ginge von Deutschland aus nicht. Die nette Dame am Schalter hat mich dann aufgeklärt: von Deutschland nach Italien braucht man eine internationale Fahrradkarte, in der umgekehrten Richtung ist der Preis dafür in der Reservierung für den Fahrradstellplatz enthalten.

Ich laufe noch ein bisschen durch Florenz, und schlage dann mein Lager auf einer Bank auf dem Michelangelo-Platz auf, bis es dunkel wird und mein Zug fährt.

Heute bin ich 87km weit gekommen, und hatte dabei 640 Höhenmeter auf dem Tacho. Das ist erstaunlich viel, wo ich doch eigentlich nur durch die Ebene nach Florenz rollen wollte...

Mir ist gar nicht wohl, wenn ich daran denke, dass ich morgen direkt aus dem Nachtzug ungewaschen ins Büro muss, weil einige unaufschiebbare Termine drücken. Selten ist mir die Heimfahrt so schwergefallen wie bei diesem Urlaub. Keine Spur von dem zu-Hause-ists-am-schönsten-Gefühl, eher das absolute Gegenteil. Sieben Tage vergingen wie im Fluge. Insbesondere nachdem ich mich an Land und Leute gewohnt hatte, wäre ich gern noch tiefer ins Hinterland vorgestoßen, wäre mal auf die richtig hohen Berge rauf, oder zur Insel Elba. Ich hätte auch gern mein Rad mal für einen Tag stehenlassen und einige Orte zu Fuß erkundet.

Abschluss

Beim Zusammenrechnen meiner aufgeschriebenen Werte und beim Auslesen des Fahrradtachos komme ich auf 667km Strecke waagerecht und 10,5km senkrecht. Die Steigungen sind dabei durchweg heftig. Während in Deutschland die meisten Dörfer im Tal an einem Fluß liegen und halbwegs eben zu erreichen sind, verbinden die Nebenstraßen in der Toskana durchweg Dörfer, die auf Hügelkuppen angelegt wurden. Die Strada Provinciale führen daher meist gleich für 200 oder 300m bergauf, dann ins Tal und zum nächsten Dorf hinauf, und sind dabei so eng und kurvig, dass die Autofahrer vor jeder Kehre hupen, damit der Gegenverkehr rechtzeitig anhält. Zum Ausgleich sind sie nur schwach befahren und bieten eine unglaublich schöne Aussicht. Es gibt sogar etliche wunderschöne Strada Provinciale ohne Asphaltdecke. Als Alternative für Flachländer blieben die relativ ebenen Strada Regionale oder Strada Statale, die unseren Land- und Bundesstraßen entsprechen. Die sind allerdings häufig sehr stark befahren. Zudem verwenden die Italiener einen extrem stinkenden, rußenden Treibstoff. Es macht überhaupt keinen Spaß, da langzufahren.

Die Zeltplätze in Italien kosten in der Vorsaison zwischen 10 und 14 EUR. Das finde ich durchaus fair für Plätze, die z.T. nur 900m vom Schiefen Turm entfernt sind. In der Vorsaison sollte man sich vorher im Internet heraussuchen, welche Plätze überhaupt offen sind. Auf den Zeltplätzen in den höheren Lagen schläft man dabei besser. Die sind meist weitab vom Verkehr, und nicht so warm und feucht. Im Tal dagegen ist die draußen aufgehängte Wäsche morgens manchmal nasser als nach dem Waschen am Abend. Weil der Boden relativ hart ist, empfehlen sich schlanke Aluminiumnägel als Heringe. Wildes Campen kann man vergessen. Die Landschaft ist bis in 600m Höhe hinauf sehr stark zersiedelt. Einzeln stehende Gehöfte wechseln sich mit Olivenhainen und Weinbergen ab. Es gibt nicht wie in Deutschland Wälder, wo man einfach einen Waldpfad reinfahren und es sich auf einer Lichtung bequem machen kann. Alle nicht-senkrechten Flächen sind landwirtschaftlich genutzt. Man muss also entweder genug Italienisch beherrschen, um beim nächsten Bauern zu klingeln und zu fragen, ob man auf seinem Grund schlafen darf, oder ist auf Campingplätze angewiesen.

Pro Tag habe ich insgesamt etwa 30 EUR ausgegeben, habe mich dafür aber auch meist mit frischen Sachen vom Markt oder aus Supermärkten und kleinen Geschäften im Inland ernährt. In den Touristenzentren wird man für eine Mahlzeit in jedem Restaurant gleich 20 EUR oder mehr los. Ich kann auch nicht recht nachvollziehen, warum in den Bars so viel Panini gekauft werden. Ich hab ein paar gegessen, aber rasch festgestellt, dass ich mir leckere Schinkenbrötchen aus eingekauften Lebensmitteln zu einem Bruchteil des Preises auch selber machen kann :)

Wenn man wirklich über die kleinsten Dörfer will, sollte man darauf achten, genug Lebensmittel für einen Tag mitzuführen. Supermärkte gibts nur ausserhalb der größeren Ortschaften (nach Schildern mit 'Coop' suchen; Lidl, Spar und Konsorten sind auch vertreten), und kleinere Lebensmittelläden ('Alimentari') haben auch häufig grade dann zu, wenn man Hunger hat. Grundsätzlich findet sich aber immer etwas, selbst am Sonntag oder Feiertag. Nur muss man dafür eben manchmal in die nächste größere Stadt abzweigen oder in Touristenorten einen relativ hohen Preis zahlen. Zum trinken hatte ich zwei 1.5L-Flaschen am Rad. Das ist etwas knapp für einen Tag. Aber man findet relativ häufig in den Parks oder am Wegesrand Wasserhähne oder Brunnen, aus denen man sich bedienen kann. Wenn die Einheimischen daraus trinken, ist das Wasser o.k. Auf den Zeltplätzen roch mir das Wasser dagegen manchmal zu sehr nach Chlor. Aber dafür findet man hier üblicherweise einen Mini-Market.

So, zum Abschluss: ich würde da jederzeit wieder hin. Die Zeit von April/Mai ist ausgezeichnet zum Radfahren geeignet. Allerdings würde ich das nächste Mal weniger Kekse von zu Hause mitnehmen, und lieber gleich frische Lebensmittel vom Markt essen. Ausserdem würde ich die Touristenzentren noch stärker vermeiden als auf dieser Tour, und gleich ins Hinterland verschwinden -- ich fand die Straßen unterwegs einfach schöner als die Städte; selbst wenn es sich um Florenz oder Pisa handelt. Die Toskana ist zum Radfahren wirklich ideal: es wird nie langweilig, die Landschaft ändert alle zwei Tage ihre Gestalt, und man kann herrlich ungezwungen genau da hinfahren, wo man grade sein möchte.

Straßen, die man unbedingt entlangradeln sollte, wenn man in der Gegend ist: