Die Tage werden langsam wieder kürzer, und ich hatte noch keinen längeren Urlaub dieses Jahr -- höchste Zeit, diesen in Angriff zu nehmen. Eigentlich wollte ich nach Norwegen, aber da ist mir das Wetter dieses Jahr zu schlecht. Von Karlsruhe aus ist die Schweiz aber nur einen Katzensprung entfernt, und ich mache mir begründete Hoffnungen, auch da ein paar Berge zu finden.
Zur richtigen Planung fehlt mir die Zeit und die Muße.
Zum Glück bin ich so oft draussen, dass ich eine recht gute
Vorstellung davon habe, was ich mitnehmen muss. Ich beantrage
meinen Urlaub, hole mir im nächsten Buchladen die
General-Karte Schweiz und einen Reiseführer, lade einen Sack
Akkus für Kamera und GPS, markiere mir ein paar Routen und
interessante Punkte in Google Earth, die auf mein GPS kommen, und
esse den Kühlschrank leer.
Neben dem üblichen Kram kommt diesmal meine Spiegelreflex mit. Das bedeutet leider, einen schweren Rucksack mit Kamera und Wechselobjektiven zu tragen, da ich es nicht wage, das Foto-Zeugs auf den Gepäckträger zu schnallen. Ich habe so bereits eine Kamera vernichtet. Ausserdem müssen Regen- und Wintersachen mit, sowie ein dicker Schlafsack und ein besseres Zelt mit Innen- und Aussenhülle (Vela Exped Extreme), sodass ich diesmal relativ schwer bepackt bin.
Ich frage rasch noch meinen Fahrradhändler, ob mein Rad für die Schweiz gerüstet ist, und verlasse den Laden mit neuen Bremsklötzen, ein paar guten Fahrradhandschuhen, einem Ersatzschlauch und ein paar Ersatzspeichen. Drei Tage nach der Entscheidung für die Schweiz gehts auch schon los.
Da ich mein GPS immer dabei habe, kann ich am Ende der Tour
eine lückenlose Aufzeichnung auslesen, wann ich wo war. In
Google Earth sieht das wie folgt aus:
Hier kann man die aufgezeichnete Strecke in Google Maps öffnen.
Mein Plan ist, auf möglichst direktem Wege in die Berge in der Ostschweiz zu kommen. Das heißt, ich nehme an Sehenswürdigkeiten unterwegs nur mit, was ohne große Umwege zu erreichen ist. Dazu zählen die Höhenwege im Schwarzwald, und die Rheinfälle.
Da ich schon am Freitagabend gepackt habe, gehts am Samstag bereits um 9:45 von zu Hause los. Eigentlich wollte ich mit der S-Bahn bis nach Neuenbürg fahren, weil ich die Strecke bis dahin inzwischen zur Genüge kenne. Allerdings braucht die S-Bahn für diese Strecke eine Stunde, genauso lange wie ich mit dem Rad auch. Also starte ich von zu Hause, nehme noch 4 hartgekochte Eier, eine halbe Salami und ein paar Brötchen mit -- der Kühlschrank ist nun leer.
Zunächst fahre ich die altbekannte Strecke im Pfinztal
und nehme bei Gräfenhausen den Buckel nach Neuenbürg
hinüber. Dann geht es das Eyach-Tal rauf, da es eine
hübsche Landschaft ohne viel Autoverkehr verspricht. Das Tal
ist wie erwartet schön zu fahren, aber an sonsten recht
unspektakulär. Der Weg geht mit mäßiger Steigung
bis zum Talende, dann gehts noch mal kräftig bergauf bis zum
Kaltenbronn. Nun bleibe ich bis Besenfeld auf der Hochebene, um
nicht unnötig Höhenmeter zu sammeln. Weiter gehts an
der Nagold-Talsperre vorbei und bis Dornstetten hinauf. Dornstetten ist eine
hübsche Stadt, mit einem von gemütlichen Marktplatz,
vielen erhaltenen Teilen der Stadtbefestigung und hübschen
alten Fachwerkhäusern. Zum Mittagessen habe ich bisher keine
Gelegenheit gehabt -- hier schiebe ich nun richtig Kohldampf.
Erst gibts Rippchen und Pommes von einem Imbißstand, dann
noch ein paar Croissants und Kuchen vom Bäcker.
Hinter Oberitlingen geht ein Segelflieger in einer riesigen Staubwolke 100m vor mir auf einen frischgepflügten Acker nieder. Ich überlege schon, ob ich erste Hilfe leisten muss, sehe aber, dass der Pilot aus eigener Hilfe aus der Kanzel krabbeln kann. Freiwillig ist er dort jedenfalls bestimmt nicht gelandet.
Bei Oberndorf erreiche ich den Neckar. Hier komme ich
zufällig an einem Minigolf-Platz vorbei, der eine freie
Rasenfläche als Zeltplatz anbietet. Mit 4 EUR kommt man hier
direkt am Radweg sehr schön unter. Leider spielt am anderen
Neckar-Ufer laute Musik. Der 80er-Jahre-Musik nach hätte ich
gedacht, dass die Omas und Opas sicher früh ins Bett gehen,
aber es waren wohl doch Jugendliche, die bis weit nach
Mitternacht durchgehalten haben. Mit Ohropax schlafe ich nicht
besonders, aber wenn es sein muss...
125km, 7h Fahrzeit, 1700 Höhenmeter, sonniges Wetter
Der zweite Tag auf Tour ist bei mir immer der Katzenjammer-Tag. Am ersten Tag startet man voller Energie, fährt üblicherweise mit dem schweren Gepäck viel zu weit und zu lang, isst abends nicht genug, und kommt dann am nächsten Tag nicht in Fahrt. Heute wars wieder so: man fragt sich die ganze Zeit, warum man die schweren Packtaschen durch die Gegend wuchtet, und denkt an die vielen Bücher, die man schon immer mal lesen wollte, an die Computerspiele, die man nicht zuendegespielt hat, etc... Dazu kommt noch, dass die heutige Etappe relativ arm an Highlights ist. Aus dem Schwarzwald bin ich inzwischen praktisch raus, es ist aber immernoch ziemlich wellig.
Zuerst folge ich dem Neckar bis zur Quelle. Dabei komme ich
durch Rottweil. Rottweil ist eine relativ große Stadt mit
einer einlandenden Altstadt, in der ich erst mal in einem Lokal
zu Mittag esse. Normalerweise vermeide ich es, Mittags in ein
Lokal zu gehen, weil man dann vor einer Stunde nicht wieder
rauskommt. Aber zum einen regnet es sowieso grade, und zum
anderen hoffe ich, dass mich ein großzügiges Menü
aus dem Formtief herausbringt. Interessanterweise war Rottweil
voller Rottweiler. Im Stadion war wohl eine Hundeschau.
Nach Rottweil wird die Strecke den Neckar aufwärts noch
langweiliger. Wenigstens hat der Regen aufgehört. Die
gefasste Neckarquelle steht in Schwenningen. Viel interessanter
als die Quelle ist jedoch das Schwenninger Moos, ein Hochmoor mit
vielen abgestorbenen Bäumen und offenen Sumpfflächen.
Danach geht es in der Nähe von Donaueschingen über die Donau hinüber. Die Landschaft ähnelt auf einmal unglaublich dem Harzvorland: man meint, jeden Augenblick die Gegensteine auftauchen zu sehen. Bis Schaffhausen habe ich keine Lust mehr. Mein GPS zeigt mir den nächsten Campingplatz bei Tengen an, den ich ansteuere. Der Platz ist mit 15 EUR (runtergehandelt von einer Pauschale von 23!) immernoch recht teuer; dabei interessieren mich weder Schwimmbad noch Wellness-Zone oder Kinderspielplatz. Wo ich schon mal hier bin, sehe ich mir noch die Burgruine Tengen an, und bestelle im Gasthaus erst mal eine ordentliche Portion Salat und Käsespätzle. Lustigerweise bestelle ich beim Falschen; es war der Hausmeister der hiesigen Grundschule, der mir dann auch das Essen rausbringt -- habe ihn wegen weißem Hemd und schwarzen Revers für den Kellner gehalten, und er hat gleich mitgespielt. Nachdem die richtige Bedienung den Irrtum aufklärt, spendiere ich ihm erst mal ein Bier als Trinkgeldersatz ;-)
Das heftige Gewitter am Abend wartete dann freundlicherweise, bis ich meine Zähne geputzt hatte und im Zelt verschwunden war.
90km, 5:30h, 1000hm, mal sonnig, mal regnerisch
Da es dauernd regnet, komme ich erst um 11:00 Uhr vom
Zeltplatz in Tengen weg. Dafür bin ich ausgeruht, und es
rollt wieder richtig gut. Tengen ist nur einen Katzensprung von
den Rheinfällen entfernt. Die Rheinfälle sind wirklich beeindruckend!
Man nähert sich von der Burg Lauffen aus über eine
Reihe von Aussichtsplattformen, die bis unmittelbar an den Fall
heranführen. Der Rheinfall ist 150m breit und 23m hoch.
Weiter gings entlang des Rheins, mal durch die Schweiz, mal durch Deutschland. Man verliert wegen des unübersichtlichen Grenzverlaufs leicht die Orientierung, in welchem Land man sich grade befindet. Unbedacht mit dem Handy telefonieren sollte man hier besser nicht.
Die nächste Station ist Stein am Rhein. Der Marktplatz von Stein ist
von wunderschön bemalten Gebäuden umgeben; man
möchte lange stehenbleiben und die Fassadengemälde
betrachten. Mir wird allerdings die Zeit knapp: ich möchte
nicht am Bodensee zelten, da ich viel Lärm und teure
Plätze befürchte, und der Weg ins Schweizer Hinterland
ist noch weit. Also kürze ich über Moos und Radolfzell
ab. Von Radolfzell aus gehts dann den Bodensee-Radweg nach
Konstanz. Der Radweg ist wirklich ausnehmend hässlich
geführt: er verläuft entlang dichtbefahrener
Straßen und ist auch bei dem regnerischen Wetter relativ
dicht bevölkert. Dafür kann man mit einer dicken
Regenwolke im Nacken ordentlich Tempo machen.
Konstanz ist eine schöne Stadt mit einer angenehmen Innenstadt und Fußgängerzone, wo ich mich für Abendessen und Frühstück mit Vorräten eindecke. Dummerweise fängt hier der Regen erst leicht, dann immer stärker an. Da am Horizont die ersten Höhenzüge auftauchen, habe ich trotzdem ein ziemliches Stimmungshoch. Ich fahre dann nur noch 25km über Nebenstraßen und winzige Dörflein bis zu einem kleinen Campingplatz in Leutswil. Es ist schon nach 20:00; ein Platzwart nirgends zu sehen. Ein netter Dauercamper ruft ihn für mich an und meldet mein Eintreffen.
118km, 6h, 1050hm, Morgens regnerisch, Abends Dauerregen
Heute ist der große Tag: es geht endlich ins Gebirge.
Doch zunächst sehe ich mir Bischofszell an, weil das nur 5km
Umweg bedeutet. Insbesondere das Rathaus ist wunderschön.
Eine
Einheimische, die mich ziellos herumschlendern sieht, macht mich
erst darauf aufmerksam.
Weiter geht es über kleine Nebenstraßen und
Waldwege bis St. Gallen. Der Ort ist insbesondere für seine
Klosteranlage berühmt, hat aber auch eine sehr schöne
Innenstadt. Hier werde ich bei einem Feinkost-Bäcker erst
mal richtig Geld los: 3 Stücken Kuchen + Kaffee als 2.
Frühstück und Mittagessen, sowie etliches Gebäck
in den Packtaschen gebunkert. In der Schweiz wird die Brieftasche
ziemlich rasch leichter, aber man bekommt auch etwas für
sein Geld.
Nach St. Gallen gings über St. Georgen erst mal heftig
bergauf. Die höchste Stelle war Speicher, von wo aus man
einen gigantischen Blick aus 1000m Höhe auf den Bodensee
hat. Leider war es recht diesig, und begann gleich
darauf wieder zu regnen.
Nach Speicher bin ich der MTB-Strecke über den Bergkamm
gefolgt. Interessanterweise war das exakt die Route, die ich
vorher als einzig mögliche in Google Earth ausgemacht hatte.
Unterwegs bin ich einem MTB-Fahrer begegnet, der mich dreimal
überholt hat -- ich kam mit GPS ganz gut zurecht, er hat
sich öfters verfahren. Appenzell habe ich mir dann gespart;
es hat geschüttet wie aus Eimern. Stattdessen habe ich mich
lieber bei einem Bäcker an der Landstraße
aufgewärmt, und ein paar Kalorien nachgelegt. Bei
Eggerstanden wurde aus dem Regen dann schlagartig Sonnenschein,
und ich hatte eine lange, serpentinenreiche Abfahrt ins Rheintal.
.
Unten gings dann entlang eines Nebenkanals des Rheins bis auf den Campingplatz in Buchs. Der Campingplatz ist klein, familiär und sauber. Einziger Nachteil: der Glockenturm von der Kirche nebenan, der auch die Viertelstunden schlägt. Hier bin ich zwei Reiseradlern begegnet; einem Mädel, das aus Paris kam und nach Salzburg weiter wollte, und einem Würzburger mit Ziel Italien. Der Würzburger hatte unglaublich viel Gepäck dabei; konnte sein Rad nicht mal anheben. Ich frage mich, ob er es damit über die Pässe schafft. Das Mädel wollte mit der Bahn weiter; ich konnte eine Portion Nudeln abstauben ;-)
90km, 6:00h, 1400hm, Vormittag trocken, Nachmittag anhaltender Regen, Abend trocken
Heute Morgen stelle ich verblüfft fest, dass mir eine Speiche im Hinterrad gebrochen ist. Zum Glück auf der dem Zahnkranz abgewandten Seite, sodass ich die Speiche leicht ersetzen kann, ohne etwas auszubauen oder Luft abzulassen. Die anderen Reiseradler sind angemessen beeindruckt, dass ich mein Rad in ein paar Minuten wieder einwandfrei fahrtüchtig habe ;-)
Dann fahre ich mit dem Würzburger erst mal das Frühstück einkaufen. Die Pflaumen im Coop sehen lecker aus. Da sie sich aber nicht gut transportieren lassen, besteht ein Großteil meines Frühstücks aus fast einem Kilo Pflaumen. Was ich nicht schaffe, wird an die Mitreisenden verfüttert.
Über Chur sagt mein Reiseführer 'Aufstrebende Stadt
mit sprödem Charme', was ich als 'unansehnliche Betonburg
mit angeschlossenem Industriegelände' übersetze.
Ausserdem ist mir das Rheintal zu flach. Also fahre ich nur bis
Bad Ragaz auf dem Rheindamm , und biege dann in die Tamina-Schlucht ab.
Der Anstieg ist auf den ersten 300 Höhenmetern unglaublich
steil, größtenteils über 15%. In den Kurven muss
man warten, bis kein Gegenverkehr ansteht, um auf der vollen
Straßenbreite bei bis zu 20% Steigung um die Biegung zu
schlingern. Ab Gassaura wird der Anstieg aber gut
erträglich. Die Aussicht in das Tamina-Tal und auf den
Stausee
ist jedenfalls wunderschön! Bei Kunkels wird
aus der Teerstraße ein Schotterpfad, bis man den
Kunkelspass auf 1300m erreicht.
Bei der Abfahrt nach Tamis herunter bin ich froh, von Norden
gekommen zu sein. Weite Strecken bestehen aus grobem Schotter mit
ca. 15% Gefälle. Ich mache mehrere Pausen, weil meine Felgen
vom Bremsen kochendheiß werden.
Von Tamis aus geht es nun entlang kleiner Dörfer wie Rothenbrunnen, Paspels und Fürstenau vorbei. Die Strecke hat viele zusätzliche Höhenmeter, aber fast keinen Verkehr und viele Schlössern und Burgruinen zu bieten.
In Thusis übernachte ich dann auf dem dortigen Campingplatz. Der ist relativ teuer, und die Sanitäranlagen waren in keinem guten Zustand. Dafür macht der Koch dort wirklich leckere Rippchen. Ich unterhalte mich ein bisschen mit einem Reiseradler-Pärchen aus den Niederlanden, die morgen auch über den Splügenpass wollen. Die beiden scheinen tatsächlich weniger transportieren zu müssen, weil sie ja zusammen nur ein Zelt brauchen, und auch sonst einige Sachen gemeinsam nutzen können. Für mich besteht in solchen zufälligen Begegnungen der größte Vorteil von Campingplätzen. Überhaupt kenne ich da keine Rücksicht -- wenn jemand nach einem interessanten Gespräch aussieht, wird er gnadenlos von mir angequatscht ;-)
80km, 5:15h, 1300hm, leicht bewölkt und warm
Heute morgen treffe ich zu unserer beider Verblüffung beim Zähneputzen den Würzburger wieder. Er ist durch Vaduz und über den Rheindamm nach Thusis gekommen. Wir fahren zusammen in Thusis erst mal Vorräte fassen. Danach (es ist etwa 11:00) trennen wir uns; er ist zu schwer bepackt, um gut voranzukommen.
Kurz hinter Thusis liegt die Via Mala , eine
unglaublich enge und tiefe Rheinschlucht, deren Boden man kaum
sehen kann. Hier begegne ich zwei Reiseradlern, die in Konstanz
gestartet sind und auch über den Pass wollen. Wir fahren
locker zusammen bis Splügen -- einer der beiden ist
Flachland-Fahrer, ich dagegen bummle immer wieder zum
Fotografieren, darum überholen wir uns dauernd. Die Strecke
bis Splügen ist anstrengend, und man sieht unten außer
Bäumen nicht viel. Zu dritt konnten wir uns die Zeit mit
gegenseitigem Überholen und Erzählen ganz gut
vertreiben. In Splügen haben wir dann erst mal das
Lebensmittelgeschäft am Markt geplündert.
Nun wirds ernst: rauf zum Pass. Nach ein paar Metern ist die
erste Pause angesagt: Viehtrieb die Straße runter ins Dorf.
Dann gehts die Pass-Straße in vielen Windungen und
Schleifen hinauf. Von Thusis nach Splügen war
anstrengender als der Pass selbst, da die Pass-Straße eine
wunderschöne Aussicht bietet, nur eine mäßige
Steigung von 8-10% über 800 Höhenmeter hat, und das
Ziel bald vor Augen ist. Die Straße selbst ist nur gering
befahren. Der Pass selbst befindet sich auf 2100m Höhe.
Auf der italienischen Seite bieten die Wolken, die den Pass
hinaufziehen, einen atemberaubenden Anblick. Aber es wird
sofort kalt, wenn die Sonne verdeckt ist. Also heißt es
warme Kleidung anziehen, die winddichten Regensachen
obendrüber, Handschuhe an (um die mich meine Mitfahrer
beneiden -- gut, dass mein Fahrradheini daran gedacht hat), und
Bremsen los. In Italien ist die Passstraße nicht so perfekt
eben und relativ dicht befahren. Aber bergab stört das nicht
weiter, da man mit den Autos gut mithalten kann. Ausserdem wird
man in den italienischen Tunneln naß. Die Bergflanken
scheinen hier um einiges steiler zu sein: die Straße ist
mit unglaublichen Schlenkern und Kehrtunneln an den Hang
geklebt.
In der Abenddämmerung erreiche ich den Lago di Como, mein
Tagesziel. Die Sonne wird schon von den gegenüberliegenden
Felswänden abgehalten. Ich
erreiche einen Zeltplatz von durchschnittlicher Qualität
nördlich von der Verbindung zwischen Lago di Mezzola und
Lago di Como.
97km, 6h, 1700hm, leicht bewölkt bis sonnig
Da ich niemanden zum erzählen habe, komme ich schon um
9:30 los. Auf dem Westufer des Lago di Como gibts nur eine
vielbefahrene Schnellstraße. Das Ostufer hat jedoch eine
gemütliche Uferstraße und versteckt den Verkehr in
Tunneln im Berg. Auf dieser Straße bin ich erst mal bis
Varenna gefahren, vorbei an netten Dörflein, Kirchen und
Klöstern.
Unterwegs habe ich im Supermarkt erst mal großzügig
italienische Salami und Käse eingekauft -- allein das ist
schon Grund genug für mich, nach Italien zu fahren.
Mein Tagesziel für heute ist Brusio, da ich unbedingt an
die Rhätische Bahn will. Also kehre ich in Varenna um.
.
Hinter dem Lago di Como halte ich mich an das Tal der Adda.
Ich fahre jedoch nicht die SS38 im Tal, da sie mir viel zu stark
befahren ist, sondern nehme die kleinen Seitenstraßen
über die Dörfer. Da gibts zwar Höhenmeter satt, aber kaum
Verkehr und typisch italienische Dorfbilder mit Brunnen, an denen
Frauen ihr Gemüse waschen, krumme Gassen, buckelige
Sträßchen, verwitterte Klöster, und die
schönere Aussicht. Zum Teil kommt man sich vor wie im
Flugzeug. Ein paar km hinter Sondrio stelle ich leider fest, dass
mir die Zeit knapp wird. Also muss ich notgedrungen von der
tollen Strada Panoramica dei Castelli runter auf die im
Feierabendverkehr dicht befahrene SS38. Der Verkehr ist
unglaublich. Da die Straße eng ist, wird man auch von
40tonnern mit geringstem Abstand überholt. Dabei fühle
ich mich aber nicht unbehaglich, da die Italiener warten, bis man
sie durch seine Fahrweise zum Überholen einlädt, und
dann langsam und vorsichtig überholen; ganz im Gegensatz zu
Deutschland oder Österreich, wo die Autos mit Vollgas an
einem vorbeischießen, wenn sie die kleinste Lücke
sehen.
Hinter Tirano gehts erst mal kräftig bergauf. Ich will zwar nur bis zum Zeltplatz in Le Prese (von Brusio und Miralago aus ein Stückchen die Straße rauf), aber nach 100km und etlichen Höhenmetern in den Beinen wird das recht zäh. Glücklicherweise ist die Straße hinter Tirano bergauf kaum befahren, während sich bergab die Italiener vor dem Grenzübergang kilometerweit stauen.
Der Campingplatz in Le Prese, den ich mit dem letzten Tageslicht erreiche, ist wirklich schön sauber und ordentlich. Ich habe zwar in Tirano frisch eingekauft, esse aber trotzdem erst mal eine leckere hausgemachte Pizza im Campingplatz-Restaurant.
136km, 7:15h, 1400hm, heiß und sonnig
Heute will ich mal mit der Bahn und nicht mit dem Rad fahren. Eigentlich wollte ich ja mit der RhB über den Bernina und zurück, aber das ist mir letztendlich zu teuer. Ausserdem ist Samstag, und die Züge sind gedrängt voll. Also kaufe ich mir nur ein Ticket nach Cavaglia. In Cavaglia soll es einen Gletschergarten geben. Ich nehme mir meine Kamera und ein Buch mit, und beschließe einen Ausruh-Tag.
Die Gletschermühlen in Cavaglia sind wirklich sehenswert!
Dabei handelt
es sich um ehemalige Strudel von Schmelzwasserbächen, in die
Felsbrocken geraten sind. Nach ein paar hundert Jahren ist das
Ergebnis ein tiefes rundes Loch im Fels, an dessen Boden ein
rundgeschliffener Felsbrocken liegt.
Dann laufe ich zu Fuß ins Tal zurück. Da ich keine Karte
oder sowas habe, weiß ich nicht worauf ich mich einlasse,
sondern folge einfach den Wegweisern. Der Weg entpuppt sich als
überraschend schön und abwechslungsreich. Man kreuzt
vielfach die Bahnstrecke, es öffnen sich schöne
Ausblicke ins Tal, man überquert kleine und
größere Bäche, einmal sogar über eine
schwankende Hängebrücke. Ich mache auf dem Weg nach
unten ein paar mal Rast, lese ein paar Seiten und genieße
die Sonne.
Zum Tagesabschluss kaufe ich mir noch ein Stück Linzertorte und ein Weißbrot (morgen ist Sonntag), und gehe in einem Restaurant in Le Prese essen.
Ich will zwar über den Bernina, aber noch nicht so rasch.
Zuerst fahre ich nach Brusio und warte am Kreisviadukt eine halbe
Stunde auf die nächsten Züge. Danach gehts runter
ins Tal. Interessanterweise kann man den gleichen Zug locker
sowohl auf dem Viadukt als auch in Tirano fotografieren -- der
Zug bremst, auf dem Rad braucht man das bei der guten
Straße fast nicht und kommt lange vor ihm in Tirano an.
Von Tirano aus geht es das Adda-Tal hinauf. Wieder gibts ausreichend kleine Nebenstraßen, um die SS38 vollständig meiden zu können. Allerdings sind viele Dörfer nun eher Refugien der reicheren Italiener; das Ergebnis sind viele große, moderne Häuser. Sehenswert sind die riesengroßen Flutrückhaltewehre der Adda hinter Le Prese. Hier bremst ein älterer Herr in einem klapperigen Fiat, als ich ihm freundlich zunicke, und lässt sich neugierig erzählen, wo ich herkomme und wo ich hinwill. Schade, dass ich kein Italienisch spreche!
Nun wirds interessant: um zum Passo Torre di Fraelle
hinaufzukommen, darf man eine Serpentinenstrecke mit 20(!) Kehren
hinauffahren. An dem Berghang kann man mit Gepäck locker
einen halben Nachmittag verbringen. Lohn der Mühe ist eine
unglaublich schön gelegene Schotterpiste, die um die
Stauseen Lago di Cancano und Lago di Giacomo herum und auf den
Passo di Alpisalla hinaufführt.
An den Stauseen geht meine alte Ersatzbrille über die Klippe. Mit dem Kamerariemen vom Kopf gerissen, verschwindet sie auf nimmerwiedersehen im Abgrund. Glücklicherweise bin ich vorbereitet, und ziehe meine bessere Brille aus dem Gepäck.
Auf dem Pass sehe ich meine ersten wildlebenden Murmeltiere.
Putzige Viecher, die
allerdings verschwinden, als ein Mountainbiker vorbeibrettert.
Mich als Langsamfahrer haben sie wohl nicht recht Ernst
genommen.
Vom Pass gehts nun runter nach Livigno. Die Strecke ist sehenswert; allerdings wird wieder das Tageslicht knapp, und ich muss mich beeilen. Unten nehme ich das erste beste, was wie ein Campingplatz aussieht. In diesem Falle bedeutet das, dass ich auf einem Stellplatz für Wohnmobile in einer Parklücke übernachte. Dass es weiter Talaufwärts sogar zwei richtige Campingplätze gibt, bemerke ich erst am nächsten Morgen.
95km, 7h, 2200hm, sonnig und warm
Gegen 9:45 komme ich von dem Wohnmobil-Parkplatz runter, und folge dem Tal aufwärts Richtung Forcola di Livigno. Es ist Montag, also kann ich wieder meine Vorräte aufstocken. Unglücklicherweise komme ich oft erst am späten Abend irgendwo an, und kann auch nicht wissen, ob ich dann eine preiswerte Gelegenheit zum Abendessen finde. Da die Geschäfte über Mittag geschlossen haben, bin ich praktisch jeden Pass mit randvollen Nahrungsmittelvorräten hochgefahren; ein paar Mal sogar mit einem durch Spannriemen obenauf befestigten Weißbrot.
Die Straße zum Forcola ist gut befahren. Im unteren
Abschnitt gibts aber einen gut geteerten Radweg. Hinter Tresenda
muss man jedoch auf die Straße. Die Pass-Straße
führt ohne eine einzige Serpentine an den Berghang geklebt
bergauf. Wegen der Galerien lohnt es sich nicht mal, das
LED-Rücklicht auszuschalten. Oben ist es erstaunlich laut
vom Gepfeife der Murmeltiere.
Hinter der schweizer Grenze geht es nur noch ein paar hundert
Meter runter und wieder rauf zum 2330m hohen Bernina-Pass.
Ein bisschen unterhalb des Passes warte ich erst einmal wieder
vor der Gletscherzunge des Morteratsch, bis ein Zug vorbeikommt.
Die Züge der RhB sind wirklich schmuck; das Rot hebt sich
ausgezeichnet vor dem Grau-Weiß der Berge und dem Grün
der Wiesen ab!
Das Tagesziel für heute ist der Campingplatz in Maloja.
Dafür komme ich an St. Moritz vorbei, das nicht sehr
sehenswert ist, sowie an den dafür sehr sehenswerten Seen
Lej da Silvaplana und Lej da Segl. Um den See von St. Moritz sowie den Lej da
Silvaplana kommt man auf der der Straße abgewandten Seite
auf den ausgeschilderten MTB-Routen auch mit Gepäck ganz gut
vorbei. Der Campingplatz in Maloja ist teuer, aber sehr
ordentlich. Ich unterhalte mich ein bisschen mit Campern aus
Pforzheim, die am See zum Surfen sind. Offenbar habe ich in der
Schweiz eine ganze Menge schlechtes Wetter verpasst, während
ich in Italien war.
76km, 5h, 1250hm, leicht bewölkt und warm
Der Tag startete mit Regenschauern. Ich habe mein Zelt dreimal
außen trockengewischt, bis ich es endlich einpacken konnte,
ohne dass mir eine weitere Husche dazwischenkam. Dann erst mal
zum Maloja-Pass. Die
Kurven finde ich harmlos, nachdem ich zum Torre di Fraelle rauf
bin.
Am Pass kündigt sich die nächste Regenfront an;
Zeit, wieder in die Regenklamotten zu schlüpfen. Im Regen geht
es dann die MTB-Strecke hinten herum um den Lej da Segl. Nachdem
ich die MTB-Strecken um St. Moritz harmlos fand, war ich von
dieser Route ziemlich überrascht: es war z.T. so steil, dass
mir selbst Leute ohne Gepäck am Rad schiebend entgegenkamen,
und es ging durch tiefe Schlammpfützen und Kuhweiden. Zum
Glück riß oben erst einmal die Regenfront wieder
auf.
In Silvaplana begann wieder der Regen. Egal, ich will zum
Julier-Pass rauf. Das ziehe ich auch durch, als sich der Regen
langsam in ein ausgewachsenes Gewitter verwandelt, das mir die
Nässe waagerecht entgegenpustet. Oben am Pass gönne ich
mir dann erst mal einen Kaffee und eine Suppe, und warte, bis der
Regen lange genug aufhört, um ein Foto zu machen. Oben begegne ich zwei
italienischsprechenden Rennradfahrern, die gleich mir von
Silvaplana aus durchs Gewitter gekommen sind, und sich ebenfalls
erst mal an einer heißen Suppe wärmen.
Bis Tiefencastel geht es weit bergab; von 2284m auf 850m. Ich kaufe in Savognin erst mal ein -- ein Glück, dass mein Gepäck wasserdicht ist -- und fahre dann wieder über die Dörfer Salouf und Mon. Der Ausblick von Mon hinunter nach Tiefencastel ist atemberaubend schön. Unter mir Wolken, auf der eigenen Höhe nichts, über mir Wolken. Unglücklicherweise schüttet es aus den Wolken über mir, sodass ich kein Foto machen kann.
Ich fahre noch durch Tiefencastel bis Surava, dann komme ich an einem netten kleinen Hotel vorbei und beschließe spontan, dass ich für heute genug Regen hatte. Das Hotel zur Post ist wirklich empfehlenswert; preiswerte, saubere Zimmer und wirklich leckere Rösti, die ich hier zum ersten Mal probiere. Die Bedienung verrät mir später, dass sie viele Stammgäste haben, die jedes Jahr auf der Fahrt hin und zurück zu ihrem Urlaubsgebiet nur wegen der Rösti bei ihnen Halt machen. Überhaupt ist das Haus sehr freundlich und hilfsbereit; das Rad darf in die Garage, die Köchin tut meine Sachen im Wäschetrockner, und ich bekomme Zeitungen, um meine Schuhe zu trocknen.
70km, 4:30h, 1200hm, Dauerregen mit Gewitter, frisch
Der Tag startet mit Regenschauern. Daher lasse ich mir im
Hotel mit dem Frühstück reichlich Zeit, und starte erst
gegen 11:00 Uhr. Der Regen lässt bald nach. In Filisur warte
ich eine Dreiviertelstunde unter dem Landwasserviadukt darauf,
dass ein Zug vorbeifährt. Gleich mir stehen noch zwei andere mit angelegten
Kameras unter der Brücke. Die Landwasser ist vom vielen
Regen angeschwollen und Lehm-gelb
Inzwischen fällt mir ein Schleifen an der Bremse und ein Klimpern der Speichen im Hinterrad auf. Da ich mir keinen neuen Speichenbruch einfangen möchte, lade ich auf dem Gemeindeplatz in Filisur erst mal ab und zentriere mein Hinterrad nach. Ich muss fast alle Speichen auf der Nicht-Zahnkranzseite um eine 1/3-Umdrehung nachspannen, so locker sind sie. Eigenartig, dass das Hinterrad mir auf einmal so viele Scherereien macht.
Der Weg zum Albula-Pass hinauf ist ein Traum. Es gibt so gut wie keinen Verkehr auf der Straße. Mir begegnet kein einziger Radfahrer, und nur sehr wenige Autos. Nachdem mir zwei Wanderinnen, die ich nach dem schönsten Weg frage, etwas von Bergrutschen und Gummistiefeln für die MTB-Strecke erzählen, bleibe ich auf der Straße. Eisenbahnen fotografieren macht hier viel Vergnügen: wenn man den Zug auf einem Viadukt oberhalb sieht, kann man bequem anhalten, die Kamera rausholen und schon mal auf das nächsttiefere Viadukt scharfstellen.
Der Pass selbst ist recht einsam, abgesehen von Murmeltieren.
Ich hätte beinahe
eines überfahren. Das dicke Vieh hat seinen Bau direkt neben
der Straße gebuddelt, und der Fluchtreflex verlangt ein
sofortiges Rennen in den Bau, ohne nach links oder rechts zu
schauen.
Auf der anderen Seite führt die Pass-Straße ins
Inn-Tal hinunter. Hier folge ich der ausgeschilderten MTB-Route,
die zwar einige Steigungen und Schotterpisten bietet, dafür
aber wunderschön über Brücken, Bergrutsche und
Geröllhalden entlang der Berge und am hier sehr tief
eingeschnittenen Inn-Tal entlanggeführt ist. In Zernez wird es
dunkel, und es regnet schon wieder. Also beschließe ich,
hier auf dem Campingplatz zu bleiben. Der Platz ist schön
sauber, wenn auch nicht ganz preiswert.
66km, 5h, 1600hm, Morgens und Abends Regen, Mittags bedeckt, frisch
Ich stelle fest, dass ich noch mehr als genug Urlaub habe, um
einen kleinen Umweg zu fahren. Also will ich heute den Ofenpass
nehmen. Da es immer mal wieder regnet, habe ich bis 11:00
gebraucht, um das Zelt zusammenzulegen. In Zernez kaufe ich mir
neben den üblichen Vorräten erst mal einen Zehnerpack
2cl-Fläschchen mit Obstbränden als Motivationshilfe.
Dann im strömenden Regen den Ofenpass hinauf. Der Ofenpass besteht
eigentlich aus zwei Pässen: zuerst gehts bis Ova Spin
kräftig bergauf, dann zum Tunnel nach Livigno wieder
hinunter, und wieder hinauf zum eigentlichen Ofenpass.
Die Straße selbst ist relativ langweilig. Sie führt
zwar durch den Schweizer Nationalpark, aber ist bis kurz vor
Passhöhe von dichten Nadelwäldern umgeben, sodass man
relativ wenig Aussicht hat. Sowas bietet der Schwarzwald auch.
Merkwürdig auch, dass der Ofenpass oben totenstill ist --
das übliche Gepiepe von Murmeltierkolonien fehlt. Vielleicht
alle vom Braunbär gefressen. Wenigstens reißt oben die
Wolkendecke auf, sodass ich ein Zielfoto machen kann.
Ehe man es sich versieht, ist man den Ofenpass hinunter und schon wieder in Italien. Allerdings sprechen in dieser Ecke (Südtirol) alle deutsch, und das typisch italienische Flair der Dörfer fehlt. Zum Ausgleich gibts in der Ecke zwischen Santa Maria und Malles eine Unmenge Klöster.
Ich folge dem Radweg nach Reschen, da mir die SS40 zu dicht
befahren ist. Der Fernradweg führt über viele
anstrengende Kilometer bis Alsagno eine 10% bis 15%-Rampe hinauf.
Am Lago di Resia will ich es nochmal mit der SS40 probieren.
Allerdings fahren die Österreicher hier wie die Henker,
einmal hat sogar jemand im Gegenverkehr überholt und mich
auf die Bankette gezwungen. Notgedrungen fahre ich also den
Radweg weiter, der am anderen Ufer des Sees vorbeiführt.
Inzwischen ist
wenigstens das Wetter so schlecht, dass ich den relativ schmalen
Weg für mich allein habe -- bei Sonnenschein wäre da
vermutlich kein Vorwärtskommen vor Ausflüglern.
Der Reschenpass selbst ist unspektakulär. Ein grasbedeckter Buckel an der Österreicher Grenze auf 1450m, mehr nicht. Bei Nauders finde ich den Zeltplatz nicht, der in meiner Karte eingezeichnet ist. Ein freundlicher alter Mann bietet mir seine Pension an. Ich sage erst zu; da die Wolken aufreißen, habe ich dann aber doch keine Lust auf eine Übernachtung unter Dach. Unglücklicherweise fährt der alte Herr nochmal an mir vorbei, als ich schon wieder Richtung Schweiz fahre. Angetrieben von purer Verlegenheit komme ich ziemlich schnell über die Höhe ins Inn-Tal :-)
Hier finde ich einen winzig kleinen Campingplatz an einem ebenso kleinen Schwimmbad in Strada. Ich bin der einzige Gast; erkundige mich erst mal bei ein paar auf der Wiese spielenden Kindern, ob das wirklich der Zeltplatz sei. Der Betreiber, ein älterer Herr, ist auch recht gesprächig; wir unterhalten uns über interessante Strecken, wo ich herkomme etc. Die Übernachtung kostet nur 8.20 SFR; meine preiswerteste in der Schweiz bisher.
In der Nacht werde ich wach, weil etwas am Zelt zerrt. Ich
suche meine Taschenlampe, mache das Zelt auf, und was sehe ich:
ein kleiner Fuchs ist unter das Aussenzelt gekrabbelt, hat die
Tüte mit den Wurstpellen und Käserinden vom Abendessen
geklaut und verspeist beides (einschließlich Tüte, die
ich nicht mehr wiederfinde) in aller Seelenruhe kaum 2m vor dem
Zelt. Ich sehe
ihm eine Weile zu. Da ich liege, scheint er mich nicht als Gefahr
einzuschätzen; lässt sich auch vom Blitzlicht der
Kamera nicht wirklich beeindrucken. Der Betreiber meint
später, der Fuchs wäre schon öfters dagewesen, und
wisse offenbar, wie man mit Zeltern umspringt.
94km, 6h, 1750hm, regnerisch und kühl
Ich verabschiede mich vom Zeltplatz-Betreiber, und fahre das
Inn-Tal rauf. Da es recht frisch ist, beschließe ich, die
in der Morgensonne liegende und nur mäßig befahrene
Straße zu nehmen. In Ramosch folge ich einem Wegweiser, und
strample bestimmt 100hm rauf, um in einem unglaublich teuren
Volg-Supermarkt einzukaufen. Das ganze Dorf scheint nur aus
Gästehäusern und Pensionen zu bestehen, da kann sich
der Markt solche Preise wohl erlauben. Bis Scuol bleibe ich
zunächst auf der Straße. Scuol ist eine reizende
kleine Stadt. Sehenswert sind die Kirche auf einem Felsen hoch
über dem Inn, die beiden Brücken über den Inn, und
die Häuser, die mit aufwendigen Putz-Ritzungen
geschmückt sind.
Hier probiere ich nochmal die MTB-Strecke auf der anderen Inn-Seite. Die ist mir jedoch zu steil -- ich kehre nach 100m um und beschließe, auf der Straße zu bleiben. Auf der Straße begegnen mir eine ganze Menge Reiseradler, die überwiegend Inn-abwärts fahren. Die Strecke ist wohl eine reizvolle Möglichkeit, ohne große Steigungen die Berge zu sehen. Für mich wäre das aber nichts; wenn ich Berge sehe, will ich da auch rauf.
In Sus, am Eingang der Flüelapass-Straße, begegne ich am Brunnen einem Reiseradler aus Freiburg, der auch über den Pass will. Wir unterhalten uns ein bisschen und beschließen, den Pass gemeinsam raufzufahren. Der Freiburger hat ähnlich viel Gepäck, aber eine größere Minimalübersetzung. Daher fährt er die Berge ein Stück schneller rauf als ich -- ich kann zwar gut mithalten, hätte aber mehr gebummelt. Zum Ausgleich überlasse ich ihm die Position im eiskalten Gegenwind vor mir :-)
Auf der Pass-Straße hat man eine wirklich herrliche
Aussicht über den Pass und in die Seitentäler.
Allerdings ist der Gegenwind oben wirklich
eiskalt. Wir stärken uns oben erst mal an Kaffee und
Bündner Nußtorte, ganz egal welche Preise verlangt
werden. Nach dem obligaten Zielfoto gehts mäßig steil
nach Davos herunter. Man braucht fast überhaupt nicht
bremsen, da fast alle Kurven gut einsehbar und gut ausgebaut
sind.
Der Freiburger hat kein Zelt dabei, sondern übernachtet am liebsten bei Bauern in der Scheune (s. http://www.schlaf-im-stroh.ch). Da hänge ich mich gern an. Die Scheune steht bei Frauenkirch, ein Stückchen hinter Davos, und ist zum Teil als Matratzenlager ausgebaut. Es ist schön sauber und ordentlich, und die Scheune hält den Wind ab. Kalt ist es aber trotzdem. Wir vernichten unsere in Davos gekauften Essensvorräte und eine Pulle Rotwein, und kriechen in die Schlafsäcke.
75km, 5h, 1600hm, gelegentlicher Nieselregen, kalt
Zum Frühstück gibts leckere selbstgemachte Erdbeermarmelade von der Bäuerin. Die Übernachtung kostet mit 25SFR auch nicht sehr viel mehr als einige der teureren Zeltplätze + Frühstück. Ich nehme einen Katalog mit; wahrscheinlich probiere ich das auch mal aus.
In Davos ist es lausig kalt. Ich freue mich auf wärmere Regionen, und der Freiburger hat auch ein Ziel am Rhein. Also nehmen wir den Wolfgangpass (den man von Davos aus gar nicht bemerkt, der aber von Landquart aus einen 1200m hohen Anstieg bedeutet) nach Landquart hinunter. Hier muss irgendeine Oldtimer-Rallye stattfinden, wir sehen häufig auf Hochglanz polierte alte Autos die Straße hinaufkeuchen, mit z.T. langen Staus dahinter :-)
Die Straße ist stark befahren. Bergauf hat man an dieser Route keine Freude, aber bergab geht es. Zumal die Autos auch keine gewagten Maneuver riskieren, wenn man zu zweit radelt.
Bei Schiers gibts so viele Wegweiser auf das "World Monument
Salginatobelbrücke", dass wir nicht wiederstehen können
und die Höhenmeter in Kauf nehmen. Die
Brücke ist eine der typisch eleganten Konstruktion des
Stahlbeton-Pioniers Robert Maillart, die bereits 1930 gebaut
wurde. Ihr Alter sieht man der Brücke absolut nicht an; man
ist aber verblüfft, so eine elegante Konstruktion mitten im
Nirgendwo bei einem so winzigen Nest zu finden.
Im unteren Teil führt der Weg nach Landquart nicht mehr über die 28, sondern über die alte Landstraße: man ist aus dem zunehmend dichter werdenden Autoverkehr heraus, und fährt gemütlich entlang des Flusses Landquart.
Ein Stückchen hinter Landquart (der Stadt) trenne ich
mich vom Freiburger. Ich möchte nach Liechtenstein, um
dieses Land mal gesehen zu haben, er hat eigene Pläne.
Liechtenstein ist ganz nett, aber bietet nichts, was man nicht
auch schon anderswo gesehen hätte. Schloss Vaduz thront hoch
über der gleichnamigen Stadt in der Rheinebene. An sonsten hat Liechtenstein
viele teure Autos, teure Läden und viele steile
Straßen zu bieten.
Ich fahre noch eine Runde durch das hübsche Werdenberg
mit seinen bemalten Holzhäusern . Danach nehme ich den Campingplatz in Buchs, den
ich bereits kenne. Hier treffe ich ein Rentner-Ehepaar aus
Magdeburg, meiner alten Heimat, welche mit ihrem Campingbus schon
seit fast einem halben Jahr auf Tour sind. Eine prima
Gelegenheit, um Erinnerungen auszutauschen, und Kaffee und Kuchen
zu schnorren ;-)
Ausserdem treffe ich zwei junge Schweizer, die zu Fuß unterwegs sind. Jeder von den beiden schleppt 17kg -- eine ganze Menge, wenn man in die Berge will. Wir tauschen Obstbrand gegen Bier, und erzählen ein bisschen, wo wir herkommen und was wir noch vorhaben.
97km, 5h, 700hm, auf 1600m lausig kalt und regnerisch (Schneefallgrenze!), unten im Tal angenehm
Wegen der Temperaturen beschließe ich, weiter unten zu
bleiben. Das Toggenburg (Hochgebirgstal entlang der Thurn) kenne
ich noch nicht, also nehme ich die 16 ab Buchs in Richtung
Westen. Zuerst geht es 600hm hinauf auf den Wildhauspass in 1090m
Höhe hinauf. Oben beginnt dann eine sehr lange, weit
geschwungene Tal-Landschaft mit reichlich touristischer
Infrastruktur, in der es im Wesentlichen bergab geht. Ich folge
der dicht befahrenen 16 über Nesslau und Wattwil. Hier
verliert die Landschaft langsam ihren Gebirgscharakter und ist
nur mehr wellig.
Ab Ebnat-Kappel sind etliche Teile der 16 für Radfahrer verboten; stattdessen wird man über Seitenstraßen und Ortsdurchfahrten geführt -- die Routen sind aber ganz angenehm, machen mehr Spaß als die Schnellstraße.
In Wil höre ich dann ein noch nie gehörtes Schleifgeräusch. Ich halte an, und stelle erstaunt fest, dass ich meine Hinterradfelge durchgebremst habe. Das Ergebnis sind ein langer Riß in der Felgenflanke und eine große Beule, wo sich die Flanke nach außen wölbt. Nun wird mir auch klar, wieso ich in den letzten Tagen einen Speichenbruch hatte und kräftig nachzentrieren musste: die Felge gab langsam nach. Ich frage mich nur, wieviel die Abfahrten im Regen zum Verschleiß beigetragen haben, bzw. ob die Felge schon bei Beginn der Tour nahezu verschlissen war und besser ausgewechselt worden wäre.
Jedenfalls freue ich mich, dass mir diese Panne weniger als 500m vom nächsten Bahnhof entfernt passiert ist. Ich lasse Luft ab, um die Felge zu entlasten, und rolle zum Bahnhof in Wil. Nach Konstanz wären es nur 30km Luftlinie; mit dem Zug muss ich dagegen erst einen großen Umweg über St. Gallen und Romanshorn fahren. Nach etwas weniger als 6 Stunden bin ich wieder zu Hause in Karlsruhe.
Nachtrag: zu Hause stelle ich fest, dass die Felge nicht durchgebremst ist, sondern an Materialversagen gestorben ist. Die Flanke hat noch beinahe 1mm Fleisch, allerding ist die Schweißnaht am Felgenstoß gebrochen.
70km, 4h, 900hm, leicht bewölkt bis sonnig, mäßig warm
Insgesamt bin ich in den 16 Tagen 1378km unterwegs gewesen, bin dabei 20600 Höhenmeter gefahren und habe 86h im Sattel verbracht. Interessanterweise entspricht mein Tagesschnitt dabei durchaus meinen üblichen Schwarzwaldtouren; man startet in den Alpen etwas höher, aber fährt durchaus nicht mehr Höhenmeter zusammen. Ich habe am Tag umgerechnet etwa 33 EUR gebraucht. Das ist deutlich mehr als mein üblicher Schnitt für Italien oder Deutschland mit ca. 25 EUR/Tag. Der Grund sind nicht nur die teuren Campingplätze, sondern auch die Tatsache, dass ich die Preise in den Läden nicht kenne. Wenn ich einen lecker aussehenden Käse oder Gebäck verlange, kann ich durchaus das teuerste Stück erwischen.
Wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, wäre ich gern noch ein paar Tage in der Schweiz geblieben. Allerdings war es mir zuletzt doch etwas zu kalt. Regen stört mich weniger als Kälte, weil man bei Regen immernoch draußen campieren kann, man bei eisigem Wind jedoch draußen rasch auskühlt.
Viele schöne Stellen im Gebirge sind nur zu Fuß zu erreichen. Bzw. braucht man eine bessere Vorbereitung, um herauszufinden, ob einzelne Wege auch mit dem Rad zu bewältigen sind. Zumindest sollte man sich eine Karte besorgen, in der die Velo- und MTB-Routen dargestellt sind. Unterwegs findet man meist nur Wegweiser mit der Nummer der Route, aber nicht mit dem Ziel im Klartext.
Insgesamt hat der Urlaub wirklich Spaß gemacht. Ich habe mich keinen Tag gelangweilt. Die meisten Pass-Straßen sind wirklich schön. Die folgenden Pässe habe ich gesehen (in chronologischer Abfolge):
Würde ich die Tour nochmal fahren, würde ich allerdings Ofenpass und Reschenpass auslassen, die sind relativ langeweilig. Wenig spektakulär sind auch Wolfgang- und Wildhaus-Pass, aber man muss da drüber, um auf die wirklich schönen Straßen zu kommen. Einen Favoriten kann ich unter den anderen Pässen nicht ausmachen, die waren alle einzigartig und jeder für sich wunderschön. Bis auf den Kunkels-Pass und den Passo di Alpisella ließen sich alle Pässe relativ entspannt fahren, da die Straßen relativ gemäßigte Steigungen aufweisen und gut geteert sind. Von den Straßen-Pässen war noch der Flüela am anstrengendsten, weil er eine ganze Menge Rampen mit um die 11% hat.
Ich bin diese Tour das erste Mal mit dem Vela Exped Extreme unterwegs gewesen. Vorher kannte ich nur ein Roben Summerwind; ein Einhüllen-Sommerzelt. Das erschien mir jedoch für die Alpen ungeeignet, da es darin bei Wind durch die umlaufenden Lüfter zieht, und bei starkem Regen Schlamm und Wasser durch die unteren Lüfter hindurchspritzen. Das Vela Exped ist ein Einmannzelt mit einer doppelten Hülle. Als Besonderheit besitzt das Außenzelt keinen Reißverschluss, sondern wird über den Gestängebogen nach oben aufgerefft.
Innen ist das Zelt relativ eng, aber auch für jemanden mit 1.96m Länge durchaus ausreichend. Jedenfalls wenn man sich damit arrangieren kann, dass die Zeltdecke vom Innenzelt 10cm über der Nasenspitze hängt. Durch das geringe Luftvolumen wird es dafür aber auch rasch warm im Inneren, selbst bei eiskaltem Wind.
Das Zelt ist mit einer langen und zwei kurzen Stangen sowie zwei Häringen rasch auf- und abgebaut. Das Packmaß ist verblüffend klein: man kann das Zelt auf 25x15cm Durchmesser zusammenrollen, und hat dann noch ein Täschchen mit den Stangen und zwei Häringen. Damit passt es zusammen mit einer ThermaRest-Isomatte in einen Ortlieb-Frontroller, und lässt noch Platz für ein paar Regensachen.
Allerdings bin ich von dem Zelt nicht uneingeschränkt begeistert. Zum einen ist das richtige Abspannen eine Kunst. Da das Außenzelt nicht an das Innenzelt geraten darf, sich bei Nässe und Temperaturveränderungen jedoch anders ausdehnt und zusammenzieht als das Innenzelt, brauchts einige Übung, um das Zelt richtig zu spannen. Ausserdem sind die Lüfter zumindest für einen Vielschwitzer wie mich unterdimensioniert: gelegentlich habe ich Kondenswasser im Innenzelt beobachten können. Das Reff im Außenzelt ist morgends problematisch. Man kommt praktisch nicht aus dem Zelt, ohne vorher das Außenzelt und insbes. die Apsis von innen trockenzuwischen, anderenfalls wird man beim Aussteigen am Rücken klatschnass. Konstruktionsbedingt reicht das Außenzelt auf der dem Ausstieg abgewandten Seite bis auf den Boden herunter. Ich hätte dort gern 10cm Luft bis zum Boden, damit morgends nicht gar soviel Kondenswasser unter dem Außenzelt hängt.
Bei Regen stört, dass man kein Fenster zum hinausblicken hat. Zieht man das Reff auf, werden die Gepäckstücke unter der Apsis naß. Also sitzt man drinnen, starrt auf eine grüne Wand, und wartet, dass das Trommeln auf der Plane aufhört. Zumindest bei meinem Zelt waren die Nähte im Außenzelt ausserdem nicht gedichtet! Es hat also aufs nicht wasserdichte Innenzelt getropft. Aber das halte ich für ein Versehen; werde das Zelt bei der nächsten Gelegenheit reklamieren.
Insgesamt bin ich mir nicht sicher, ob ich das Zelt wieder kaufen würde. Aber es ist zusammengelegt schön kompakt, und erfüllt -- jedenfalls mit gedichteten Nähten -- seinen Zweck.